Das Unterhaltsreformgesetz vom 21.12.2007 dient drei Zielen: der Förderung des Kindeswohls, der Stärkung der Eigenverantwortung und der Vereinfachung des Unterhaltsrechts. Die neue Struktur von § 1570 BGB hat der Gesetzgeber nicht in den Zusammenhang mit der Förderung des Kindeswohls gestellt, vielmehr hatte sie neben der schärferen Fassung von § 1569 BGB im Sinn einer programmatischen Auslegungsrichtlinie den Zweck, das Prinzip der Eigenverantwortung stärker zur Geltung zu bringen, was im Klartext bedeutet, den betreuenden Ehegatten früher als bisher nach dem herkömmlichen Altersphasenmodell in die Erwerbstätigkeit zu zwingen. Frühere Erwerbstätigkeit bedeutet allerdings auch die Verringerung des Zeitraums, für den nachehelich Betreuungsunterhalt bezahlt werden muss und es bedeutet auch, dass dem Betreuenden für Pflege und Erziehung des gemeinsamen Kindes nach der Intention des Gesetzgebers weniger Zeit zur Verfügung steht als nach dem tradierten Altersphasenmodell – eine Wirkung, die sich der Gesetzgeber auch für die anderen Unterhaltstatbestände nach §§ 1570 ff. BGB erhofft hatte:
Zitat
"Auch die übrigen Unterhaltstatbestände sind im Licht des neu gefassten § 1569 BGB des Entwurf ggf. enger" [Hervorhebung durch den Verf.] auszulegen“.
Im Spannungsverhältnis zwischen Kindeswohl und Erwerbstätigkeit hat sich der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 1570 BGB für Letztere entschieden. Die Erwerbstätigkeit des betreuenden Ehegatten soll bereits mit dem dritten, nicht erst mit dem achten Geburtstag des Kindes einsetzen. So heißt es demgemäß auch, die im Einzelfall zu bestimmende Billigkeit nach § 1570 Abs. 1 S. 2 BGB richte sich im Übrigen nach dem allgemeinen und in § 1569 BGB künftig für den nachehelichen Unterhalt ausdrücklich verankerten Prinzip der Eigenverantwortung des Unterhaltsbedürftigen; die straffer gefasste Vorschrift soll neben ihrer für die nachehelichen Unterhaltstatbestände wichtigen programmatischen Funktion zusätzlich als Auslegungsrichtlinie nicht nur für den Tatbestand des Betreuungsunterhalts gelten. Die Neuformulierung des Gesetzeszwecks wird auch nicht durch den Hinweis abgeschwächt, ein übergangsloser Wechsel von der Betreuung zur Vollerwerbstätigkeit werde nicht geschuldet. Denn an der grundsätzlichen Erwerbspflicht ab der Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes hält der Gesetzgeber fest.
Der XII. Senat geht noch einen Schritt weiter: Aus dem Selbstbetreuungsrecht in den ersten drei Jahren des Kindes wird danach eine Obliegenheit zur Fremdbetreuung. Die dogmatische Folge ist der Verlust des Betreuungsunterhaltsanspruchs, soweit diese Pflicht verletzt wird. Die Kernsätze des BGH lauten:
Zitat
"Die Obliegenheit zur Inanspruchnahme einer kindgerechten Betreuungsmöglichkeit findet erst dort ihre Grenze, wo die Betreuung nicht mehr mit dem Kindeswohl vereinbar ist, was jedenfalls bei öffentlichen Betreuungseinrichtungen wie Kindergärten, Kindertagesstätten oder Kinderhorten regelmäßig der Fall ist."
Nach wie vor richtet sich der Umfang der Erwerbstätigkeit nach der Betreuung. Mit der Neufassung von § 1570 Abs. 1 BGB bevorzugt der Gesetzgeber jedoch ein Kombimodell bestehend aus einer starren Dreijahresfrist unabhängig davon, in welchem Umfang das Kind noch betreuungsbedürftig ist und einem Verlängerungsunterhalt, dessen Dauer sich nach Gesichtspunkten der Billigkeit richtet, also nach dem Einzelfall. Der Gesetzgeber greift den Schematismus des Altersphasenmodells auf, wandelt ihn ab und ergänzt ihn um eine individuelle Komponente – alles im Dienst der Einzelfallgerechtigkeit. Die entscheidende Frage ist:
Bringt die schematische Dreijahresfrist, kombiniert mit einer Einzelfallbetrachtung wirklich im Blickwinkel der Betreuungskontinuität bessere Ergebnisse als das Altersphasenmodell? Das muss nach nahezu fünf Jahren Praxiserfahrung ernsthaft bezweifelt werden.