Brüssel IIa-VO Art. 8 Abs. 1; KSÜ Art. 15 Abs. 1; BGB § 1684 Abs. 4 § 1696 Abs. 1, Abs. 2; FamFG § 68 Abs. 3 S. 2 § 89 Abs. 2 § 158 § 166 Abs. 2
Leitsatz
1. Das auf eine Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 Abs. 1 BGB anwendbare Sachrecht folgt auch dann aus Art. 15 Abs. 1 KSÜ, wenn sich die internationale Zuständigkeit des Gerichts nicht aus dem KSÜ, sondern aus Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO ergibt (sog. Gleichlauf).
2. Selbst wenn in einem Ausgangsverfahren bereits ein Umgangsrecht tituliert worden ist, ist Entscheidungsmaßstab für einen späteren Umgangsausschluss unmittelbar § 1684 Abs. 4 BGB; § 1696 Abs. 1 BGB ist nicht anwendbar.
3. Zu den Voraussetzungen für den Umgangsausschluss mit einem 16 Jahre alten, seit Jahren in einer Pflegefamilie lebenden Jugendlichen, der den Umgang ablehnt.
4. Wegen § 166 Abs. 2 FamFG, § 1696 Abs. 2 BGB ist ein Umgangsausschluss in angemessenem Abstand von Amts wegen zu überprüfen.
5. Ein Verfahrensbeistand kann von einem anderen Beteiligten nicht als befangen abgelehnt werden. Allerdings ist die persönliche oder fachliche Eignung des erstinstanzlich bestellten Verfahrensbeistandes im Rechtsmittelverfahren betreffend die Endentscheidung zu überprüfen (§ 58 Abs. 2 FamFG).
6. Die Hinweispflicht nach § 89 Abs. 2 FamFG erfasst auch negative Umgangsregelungen wie einen Umgangsausschluss.
OLG Saarbrücken, Beschl. v. 22.11.2018 – 6 UF 120/18 (AG St. Wendel)
1 Gründe:
[1] I. Die Beschwerdeführerin (fortan: Mutter), polnische Staatsangehörige, ist die Mutter des beteiligten, am … 2002 geborenen Kindes F., für das seit Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – in St. Wendel vom 29.6.2009 – 6 F 29/09 SO – Amtspflegschaft des Kreisjugendamtes St. Wendel für die Sorgeteilbereiche Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge und Recht zur Beantragung von Minderjährigenhilfe besteht. F. lebt seit 2009 in einer Pflegefamilie.
[2] Der Mutter wurde durch vor dem Senat geschlossenen gerichtlich gebilligten Vergleich vom 2.9.2010 – 6 UF 47/10 – ein Umgangsrecht mit F. eingeräumt. In der Folgezeit fanden Umgangskontakte in der Regel alle vier Wochen statt.
[3] Im vorliegenden Verfahren haben die Amtspflegerin und das Jugendamt mit am 7.8.2017 eingegangenem Schriftsatz beantragt, das Umgangsrecht der Mutter mit F. dauerhaft auszusetzen. Dem Antrag ist ein persönliches Schreiben des F. beigefügt, in dem auch dieser selbst um vollständige Aussetzung der Besuchskontakte zu seiner Mutter bittet.
[4] Das Familiengericht hat für F. eine Verfahrensbeiständin bestellt und sowohl diese als auch F., die Mutter, die Amtspflegerin sowie die Sachbearbeiterin des Jugendamts persönlich angehört.
[5] Durch den angefochtenen, mit Beschl. v. 24.9.2018 berichtigten Beschl. v. 11.9.2018, auf den Bezug genommen wird, hat das Familiengericht "die Besuchskontakte" des F. zur Beschwerdeführerin "ausgesetzt".
[6] Mit ihrer Beschwerde erstrebt die Mutter sinngemäß die Einräumung eines Umgangsrechts mit F.
[7] Die Verfahrensbeiständin, die Amtspflegerin und das Jugendamt bitten um Zurückweisung der Beschwerde.
[8] II. Der nach §§ 58 ff. FamFG zulässigen Beschwerde der Mutter bleibt in der Sache ein Erfolg versagt.
[9] Unangefochten und rechtsbedenkenfrei hat das Familiengericht – stillschweigend – seine internationale Zuständigkeit bejaht (Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO) und seine Entscheidung deutschem Sachrecht unterworfen (Art. 15 Abs. 1 KSÜ; sog. Gleichlauf, siehe dazu BGH FamRZ 2018, 457; 2011, 796 m. Anm. Völker).
[10] Zu Recht hat das Familiengericht den Umgang der Mutter mit F. (richtig:) ausgeschlossen, ohne diesen Umgangsausschluss zu befristen.
[11] Das Umgangsrecht eines Elternteils steht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Es ermöglicht dem umgangsberechtigten Elternteil, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung durch Augenschein und gegenseitige Absprache fortlaufend zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten und einer Entfremdung vorzubeugen, sowie dem Liebesbedürfnis beider Teile Rechnung zu tragen. Sowohl Sorge- als auch Umgangsrecht erwachsen aus dem natürlichen Elternrecht und der damit verbundenen Elternverantwortung und müssen von den Eltern im Verhältnis zueinander respektiert werden. Der Elternteil, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, muss demgemäß grundsätzlich den persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil ermöglichen. Können sich die Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts nicht einigen, haben die Gerichte eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt. Die Gerichte müssen sich im Einzelfall um eine Konkordanz der verschiedenen Grundrechte bemühen. An die – einfachrechtlich auf § 1684 Abs. 4 BGB zu gründende – Einschränkung oder gar den Ausschluss des Umgangsrechts eines Elternteils sind strenge Maßstäbe anzulegen. Eine Einschränkung des Umgangsrechts ist nur veranlasst, wenn nach den ...