GG Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, BVerfGG § 32 Abs. 1, FamFG § 64 Abs. 3, BGB § 1671 Abs. 1, 4 § 1666
Leitsatz
1. Trotz verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die angegriffene Entscheidung, mit der das Oberlandesgericht im Eilverfahren abweichend von der amtsgerichtlichen Entscheidung und den Vorschlägen des Jugendamts, der Verfahrensbeiständin und der behandelnden Ärzte das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter des Beschwerdeführers auf deren Mutter übertragen hat, ohne eine hinreichende anderweitige Entscheidungsgrundlage offenzulegen, bleibt der Eilantrag im Verfassungsbeschwerdeverfahren erfolglos.
2. Über den Eilantrag kann nicht ohne Folgenabwägung entschieden werden, weil durch ein Abwarten der Grundrechtsschutz des Kindesvaters insbesondere im Hinblick auf die zeitnah anstehende mündliche Verhandlung im fachgerichtlichen Verfahren nicht vereitelt wird.
3. Im Rahmen der notwendigen Folgenabwägung überwiegen die Gründe, die gegen den Erlass der verfassungsgerichtlichen Eilmaßnahme sprechen. Denn die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Belastungen des Kindes durch einen erneuten Aufenthaltswechsel wiegen schwerer als die geringer einzuschätzende Wahrscheinlichkeit einer Kindeswohlgefährdung durch die Mutter, der durch geeignete Maßnahmen des Jugendamts für den kurzen Zeitraum bis zum Termin vor dem Oberlandesgericht im Beschwerdeverfahren begegnet werden kann.
(Leitsätze der Red.)
BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung v. 29.12.2020 – 1 BvR 2652/20 (OLG Saarbrücken)
Aus den Gründen
Gründe: I. [1] Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen eine einstweilige Anordnung in einem die elterliche Sorge für seine Tochter betreffenden Beschwerdeverfahren.
[2] 1. Im Ausgangsverfahren streiten die bislang gemeinsam sorgeberechtigten Eltern über die elterliche Sorge für ihre 2014 geborene gemeinsame Tochter. Das Kind, das erhebliche Verhaltensauffälligkeiten zeigte, wurde im Laufe des fachgerichtlichen Verfahrens mehrfach in kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen untersucht. Bei einem längeren Aufenthalt der Mutter mit dem Kind in einem familientherapeutischen Zentrum wurde in drei Urinproben des Kindes EDDP, ein Abbauprodukt von Methadon, nachgewiesen. Die Konzentration des Stoffes lag jeweils unter dem "Cut-off"-Wert. Ferner äußerten die dort behandelnden Ärzte aufgrund des Spielverhaltens des Kindes den Verdacht auf Misshandlungen oder einen Missbrauch des Kindes. Die Eltern verdächtigen sich gegenseitig, das Kind missbraucht oder misshandelt zu haben. Im Hauptsacheverfahren zur elterlichen Sorge wird derzeit ein Gutachten eingeholt.
[3] 2. Auf Antrag des Beschwerdeführers übertrug ihm das Amtsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung die alleinige elterliche Sorge für die Bereiche Aufenthaltsbestimmung und Gesundheit mit der Maßgabe, dass das Kind seinen Aufenthalt bei den Großeltern väterlicherseits nehmen solle. Ein Verbleib des Kindes bei der Mutter komme derzeit nicht in Betracht, weil davon auszugehen sei, dass dem Kind in ihrer Obhut Methadon verabreicht worden sei. Dementsprechend habe auch die Mutter selbst beantragt, das Kind über das Jugendamt fremd unterzubringen. Aufgrund der nicht ausgeräumten Vorwürfe gegen den Beschwerdeführer könne das Kind auch nicht bei ihm untergebracht werden. Die sorgerechtliche Auflage, das Kind solle seinen Aufenthalt bei den Großeltern väterlicherseits nehmen, sei jedoch der mildere Eingriff gegenüber dem Sorgerechtsentzug und der Fremdunterbringung des Kindes, die einen Abbruch jeglicher Beziehungen bedeute. Die Großeltern bemühten sich auch um eine neutrale Position zwischen den Eltern. Auf der Grundlage dieser Entscheidung wechselte das Kind im September 2020 aus dem Aufenthalt in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik in den Haushalt der Großeltern.
[4] Gegen die familiengerichtliche Entscheidung legte die Mutter Beschwerde ein und begehrte nunmehr, Teile der elterlichen Sorge auf sie zu übertragen, um das Kind selbst betreuen zu können. Auf diese Beschwerde hin erließ das Oberlandesgericht den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschl. v. 9.11.2020, mit dem es im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 64 Abs. 3 FamFG in Abänderung der Entscheidung des Amtsgerichts der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitsfürsorge für das Kind bei Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge im Übrigen übertrug. Zur Begründung führte es aus, die vorgebrachten Labornachweise seien nicht zum Nachweis dafür geeignet, dass dem Kind Methadon verabreicht worden sei. Das auffällige Verhalten des Kindes sei auch nicht zwingend mit der Betreuung durch die Mutter in Verbindung zu bringen, es könne auch auf dem von der Mutter behaupteten Missbrauch durch den Beschwerdeführer beruhen. Da eine Kindeswohlgefährdung bei keinem der Elternteile (überwiegend) wahrscheinlich sei und damit nicht den Ausschlag gebe, sprächen die wesentlichen sorgerechtlichen Kriterien für eine Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter. Die Entscheidung ergehe ...