(1) Allgemeine Grundsätze
Der Verletzte hat sich nach dem Unfall unverzüglich in ärztliche Behandlung zu begeben, sofern die erlittenen Körperschäden nicht ganz geringfügig sind.
Macht er das nicht, erhält er Schadensersatz nur für solche Schäden und Behinderungen, die trotz der ärztlichen Behandlung entstanden oder verblieben wären.
Der Verletzte muss – soweit er dazu imstande ist – die nach dem Stand der ärztlichen Wissenschaft sich darbietenden Mittel anwenden. Im Regelfall darf er nicht anders handeln als ein verständiger Mensch, der die Vermögensnachteile selbst zu tragen hat, es bei gleicher Gesundheitsstörung tun würde.
Allerdings muss bewiesen sein, dass die in Betracht kommenden Maßnahmen gesundheitsfördernd gewesen wären, die erlittenen Schäden gemindert oder eine vorliegende Bewegungseinschränkung gebessert hätten.
Der Verletzte muss sich einer Operation unterziehen, sofern diese gefahrlos und nicht mit besonderen Schmerzen verbunden ist und sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung bietet. Ein gewisses Restrisiko ist hinzunehmen.
Allein eine medizinische Indikation reicht aber nicht aus, um generell eine Verpflichtung des Verletzten zur Operation anzunehmen; vielmehr ist regelmäßig auf die Verhältnisse im Einzelfall abzustellen.
Der Verletzte muss sich zur Entlastung der Schädigerseite nicht kostensparend behandeln lassen, wenn auch sonst eine solche Behandlung nicht gewählt worden wäre.
(2) Psychischer Schaden
Ob und wie zu behandeln ist, kann hier regelmäßig nur im Einzelfall entschieden werden. Die Verletzung der Behandlungsobliegenheit kann dem psychisch Verletzten im Rahmen des Mitverschuldens nach § 254 Abs. 2 BGB entgegengehalten werden, wenn er es unterlässt, in einer ihm zuzumutenden Art und Weise – durch Teilnahme an Therapien – jedenfalls auf eine deutliche Besserung des eigenen Zustandes bedacht zu sein.
Unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB wird regelmäßig für die Zumutbarkeit einer stationären psychiatrischen oder mit belastenden Nebenwirkungen behafteten medikamentösen Behandlung zur Wiederherstellung oder jedenfalls Verbesserung der unfallbedingt beeinträchtigten Arbeitskraft auch die sichere Aussicht auf eine wesentliche Besserung zu fordern sein.
Eine höchstpersönliche Abneigung gegen Therapien setzt sich gegen die Einstellung des verständigen Menschen in der Lage des Betroffenen als Maßstab nicht durch.
Selbst eine geschlossene Anstalt (Nervenheilanstalt) ist zumutbar, sofern ein dortiger Aufenthalt geeignet ist, eine Besserung zu bewirken.
Gleiches gilt für den Aufenthalt in einem Reha-Zentrum.
Die Entscheidung ist regelmäßig im Einzelfall zu treffen, wie sich an weiteren Beispielen aus der Rechtsprechung zeigt.
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Kein Mitverschulden ist anzunehmen, wenn der Patient eine nicht ganz risikolose Operation unterlässt, die seine Beschwerden allenfalls bessern kann. Gleiches gilt, wenn durch Ernährungsgewohnheiten und dadurch ausgelöste Adipositas die Verzögerung der Heilung mitverursacht wird. |
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Ein Mitverschulden ist dagegen zu bejahen, wenn bei posttraumatischer Belastungsstörung (mit der Folge von Magersucht) eine begonnene Therapie trotz günstiger Prognose abgebrochen wird. |
Gleiches gilt allgemein bei einem Therapieabbruch entgegen ärztlichem Rat. Hier kann die Ersatzpflicht vollständig entfallen, wenn bei Fortsetzung der Therapie (hier: intensive ambulante Psychotherapie) mit hinreichender Sicherheit die Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit bis hin zur Beschwerdefreiheit in Aussicht gestanden hat.
Auch wenn die Schadensminderungspflicht eine stationäre und/oder medikamentöse Behandlung erdordern kann, ist sie regelmäßig nur verletzt, wenn eine sichere Aussicht auf Besserung besteht.
Zu prüfen ist, ob
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Therapiefähigkeit vorliegt oder ob die Verweigerung der Therapie eine typische Folge einer psychischen Erkrankung ist; |
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Konkrete Behandlungsmaßnahmen in Betracht kommen; |
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Der Erkrankte (nur) ärztlichen Anweisungen gefolgt ist, als er sich für einen Rentenantrag und gegen eine Behandlung entschieden hat. |
Verschulden kann nur angenommen werden, wenn beim Erkrankten eine Handlungssteuerungsfähigkeit vorliegt; dazu muss sich ein Gutachter auf der Grundlage der psychischen Gesamtstruktur des Betroffenen ein differenziertes Bild machen.