Gleich mehrfach beschäftigte derselbe Sorgerechtsstreit das BVerfG.
a) Ausgangsentscheidung
Ausgangspunkt war ein Verfahren betreffend die elterliche Sorge für ein 2008 geborenes Kind. Nach der Trennung der Eltern 2013 lebte das Kind zunächst bei der Mutter und wechselte 2018 übergangslos zum Vater. Ein erstes Gutachten hielt die Mutter für besser erziehungsgeeignet und empfahl im Februar 2019 wegen akuter psychischer Kindeswohlgefährdung eine zeitlich begrenzte externe Unterbringung des Kindes. Ein weiteres Gutachten attestierte im April 2019 ebenfalls eine massive Kindeswohlgefährdung bei weiterem Verbleib beim Vater, da dieser unter einer wahnhaften Störung leide und sein Kind in das Wahngeflecht einbeziehe. Das Familiengericht übertrug im April 2020 der Mutter das alleinige Sorgerecht und gab ihr auf, das Kind zunächst in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Nähe ihres Wohnortes behandeln zu lassen. Auf die Beschwerde des Vaters und des Jugendamtes übertrug das OLG das Sorgerecht dem Vater. Die Schlussfolgerung des Sachverständigen, die Ursache für die plötzliche Trennung des Kindes von seiner Mutter 2018 seien Einwirkungen des psychisch schwer erkrankten Vaters gewesen, sei für das Gericht weder schlüssig noch durch die Kindesanhörung bestätigt.
Das BVerfG hob auf die Verfassungsbeschwerde der Mutter die OLG-Entscheidung auf. Bei Abweichung von den fachkundigen Feststellungen und Wertungen eines Sachverständigen müsse eine anderweitige verlässliche Grundlage für eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung offengelegt werden. Hier habe der Sachverständige detailliert das wahnhafte Bild des Vaters von der Mutter (Tätigkeit als Prostituierte, Überwachung durch den BND) dargestellt und geschildert, der Vater vermittele dem Kind den Eindruck, die Mutter würde dem Kind auflauern, es entführen und verstecken. Der Vater verhindere zudem die Untersuchung des Kindes durch solche Fachkräfte, denen vom Vater unabhängige Informationen zu den Hintergründen des Eltern- beziehungsweise Familienkonflikts zur Verfügung stünden. Das OLG habe sich mit diesen kindeswohlgefährdenden Aspekten nicht ausreichend auseinandergesetzt. Es habe keinerlei Anhaltspunkte für den Realitätsgehalt der Schilderungen des Vaters aufgezeigt und deshalb nicht nachvollziehbar begründet, warum es dem Sachverständigen an plausiblen Anknüpfungstatsachen für die Annahme einer wahnhaften Störung fehle. Es fehle weiterhin an einer näheren Auseinandersetzung mit der Möglichkeit einer manipulativen Einwirkung des Vaters auf das Kind und einer möglichen Unbeachtlichkeit des kindlichen Willens, wenn dessen Befolgung zu einer Kindeswohlgefährdung führen könne.
b) Eilanordnung des OLG nach Rückverweisung
Das OLG setzte im Juni 2021 durch einstweilige Anordnung nach § 64 Abs. 3 FamFG die Vollziehung der Entscheidung des Familiengerichts aus und ordnete die Einholung eines erneuten Sachverständigengutachtens an. Bereits aufgrund des zwischenzeitlichen Zeitablaufs sei neu zu beurteilen, ob und wenn ja in welchem Maß ein Wechsel des Kindes zur Mutter als kindeswohlgefährdend anzusehen sei. Auf die erneut von der Mutter eingelegte Verfassungsbeschwerde hin erließ das BVerfG von Amts wegen eine Eilregelung nach § 32 BVerfGG zur Abwendung schwerer Nachteile. Ein Abwarten der Hauptentscheidung vereitele den Grundrechtsschutz. Die Aussetzung der Vollziehung der familiengerichtlichen Entscheidung schreibe den Aufenthalt des Kindes vorläufig beim Vater trotz der bestehenden Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung fest, ohne dass sich das OLG mit den Bedenken des BVerfG im vorhergehenden Verfahren auseinandersetze. Die amtsgerichtliche Entscheidung schließe einen unmittelbaren Wechsel vom Vater zur Mutter durch die Auflage einer für August/September 2021 geplanten therapeutischen Behandlung des Kindes in einer Einrichtung gerade aus. Das Kind wäre ohne die Eilregelung weiterhin den festgestellten Beeinflussungen durch den Vater ausgesetzt, die Therapie könne erst verspätet beginnen und werde durch die zu erwartende weitere Entfremdung von der Mutter erschwert.
c) Widerspruch gegen Eilregelung des BVerfG
Den gegen diese Eilregelung vom Vater eingelegten Widerspruch verwarf das BVerfG als unzulässig. Dem Vater fehle die Widerspruchsbefugnis: Der Begünstigte des einer Verfassungsbeschwerde zugrundeliegenden Ausgangsverfahrens sei nur äußerungs-, nicht aber widerspruchsberechtigt (§ 94 Abs. 3 BVerfGG). Eine Beteiligtenstellung könnten im Verfassungsbeschwerdeverfahren außer dem Beschwerdeführer selbst lediglich die in § 94 Abs. 1, 2 und 4 BVerfGG genannten Verfassungsorgane erlangen, § 94 Abs. 5 BVerfGG. Die Begründung des Widerspruchs gebe keinen Anlass, die einstweilige Anordnung von Amts wegen abzuändern oder vorläufig außer Vollzug zu setzen. Die Verfassungsbeschwerde der Mutter sei weiterhin offensichtlich begründet.