Das BVerfG[1] billigte den teilweisen Entzug der elterlichen Sorge der allein sorgeberechtigten Mutter für die inzwischen 16jährige Tochter. Gegen den Rat der Fachkräfte bestand die Mutter nach Beendigung der Grundschule durch die sonderpädagogisch förderungsbedürftige Tochter auf einer inklusiven Beschulung und meldete sie zunächst auf dem Gymnasium an, von wo sie kurze Zeit später wegen Übergriffen auf Mitschüler und Konflikten mit den Lehrern zur Realschule wechselte. Im August 2018 entzog das Familiengericht der Mutter bereits Teile der elterlichen Sorge durch nicht angegriffene Eilanordnung. Im Januar 2020 entzog das Familiengericht der Mutter u.a. das Recht zur Regelung schulischer Belange. Deren Beschwerde wies das OLG im Mai 2020 zurück: Die Mutter übe trotz stetiger gegenteiliger Ratschläge aller Fachkräfte einen derart enormen Leistungsdruck auf die Tochter aus, dass diese permanent überfordert, traurig, verzweifelt und ohne jegliche Lebenslust sei; sie habe auch bereits Suizidgedanken geäußert. Mitunter komme es auch zu körperlichen Übergriffen seitens der Mutter gegenüber der Tochter. Sie habe die Auflagen in der Eilanordnung aus August 2018 nur unzureichend erfüllt. Mutter und Tochter legten gegen die Entscheidungen des OLG Verfassungsbeschwerde ein; eine beantragte Eilregelung wies das BVerfG[2] zurück.

Für die jetzige Hauptsacheentscheidung gelte ein zurückgenommener verfassungsrechtlicher Überprüfungsmaßstab, soweit mit der fachgerichtlichen Entscheidung keine Trennung des betroffenen Kindes von seinen Eltern verbunden sei. Dem BVerfG obliege dann lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lasse, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereiches beruhten. Die OLG-Entscheidung wäre aber selbst bei einem strengeren Maßstab unter Berücksichtigung des Benachteiligungsverbotes aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG wegen der Beeinträchtigungen der Tochter verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Verfahrensrechtlich beanstandungsfrei habe das OLG festgestellt, die Mutter übe noch abends stundenlang mit ihrer Tochter und reagiere auf schlechte Noten mit verbalen und auch körperlichen Übergriffen. Dies dürfe ohne Verkennung von Grundrechten als ein außergewöhnlicher und aus erzieherischen Gesichtspunkten nicht mehr angemessener Leistungsdruck eingeordnet werden. Selbst wenn man annehme, ein Anspruch des Kindes auf inklusive Beschulung sei bei staatlichen Eingriffen ins Elternrecht zu berücksichtigen, berühre dies die Kindeswohlgefährdung nicht. Verfassungsrechtlich wäre eine an einer pauschalisierenden Interpretation von Art. 24 UNBRK orientierte Auslegung des einzelfallbezogen anzuwendenden § 1666 BGB mit dem Anspruch des Kindes auf Schutz durch den Staat aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 i.V. m Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG im Falle einer konkreten Gefährdung seiner Gesundheit oder Persönlichkeitsentwicklung nicht vereinbar. Das Verhalten der Mutter bewirke im Ergebnis, dass notwendige Unterstützungen und Förderungen der Tochter und ein erforderlicher zieldifferenter Unterricht nicht erfolgten, so dass die Tochter von der inklusiven Beschulung im Ergebnis gerade nicht profitieren könne. Schließlich seien auch die Maßstäbe für die schulrechtliche Zuweisung eines Kindes an eine Förderschule vorliegend irrelevant, da es nicht um einen Konflikt zwischen staatlicher Schulaufsicht (Art. 7 GG) und Elternrecht gehe.

[2] BVerfG, Beschl. v. 16.7.2020 – 1 BvR 1525/20, FF 2020, 464 (Ls) = FamRZ 2020, 1565; s. Keuter, FF 2021, 142, 147.

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