a) Ausschöpfung des Rechtswegs
Das BVerfG hat offengelassen, ob der Rechtsweg als erschöpft angesehen werden kann, wenn ein Kind als Verfassungsbeschwerdeführer im fachgerichtlichen Verfahren nicht selbst Beschwerde gegen die Ausgangsentscheidung eingelegt hat, sondern nur an dem Beschwerdeverfahren beteiligt war. Der Zweck der vorherigen Ausschöpfung des Rechtsweges, die geltend gemachte Beschwer durch die zuständigen Instanzen der Gerichte ordnungsgemäß zuvor zu prüfen und ihr ggfs. abzuhelfen, könnte nämlich deshalb erfüllt sein, weil das OLG die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung ohnehin von Amts wegen vollständig und unabhängig von den erhobenen Rügen zu prüfen hatte.
b) Vertretungsbefugnis nach Sorgerechtsentzug
Ein Elternteil, dem die elterliche Sorge entzogen wurde, kann das Kind nicht im Verfassungsbeschwerdeverfahren vertreten, da der Sorgerechtsentzug mit Bekanntgabe wirksam wird; eine ausnahmsweise Zulassung des nicht vertretungsbefugten Elternteils ist jedenfalls dann nicht geboten, wenn für das Kind ein Verfahrensbeistand bestellt ist.
c) Begründungserfordernisse
Zur hinreichenden Begründung einer Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung gehört die Vorlage der angegriffenen Entscheidungen und derjenigen Schriftstücke, ohne deren Kenntnis sich die Berechtigung der geltend gemachten Rügen nicht beurteilen lässt, zumindest aber deren Wiedergabe ihrem wesentlichen Inhalt nach, da das BVerfG nur so in die Lage versetzt wird, zu beurteilen, ob die Entscheidungen mit dem Grundgesetz in Einklang stehen. Zu diesen Schriftstücken zählen insbesondere die Stellungnahmen von Jugendamt und Verfahrensbeistand.
Die Rüge, das Gericht hätte im sorgerechtlichen Eilverfahren ein Sachverständigengutachten einholen müssen, bedarf besonderer Begründung. Denn dessen Einholung ist in kinderschutzrechtlichen Eilfällen regelmäßig nicht möglich, ohne dass deshalb ein Sorgerechtsentzug unzulässig wäre.
Verfassungsrechtlich bedenklich sei es, wenn ein OLG nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG von einer erneuten Anhörung eines Kindes absehe, obgleich die erstinstanzliche Anhörung bereits neun Monate zurückliege. Werde dies mit den Belastungen für das Kind begründet, müsse die Tatsachengrundlage hierfür dargetan werden, zumal dann, wenn das Kind laut Verfahrensbeiständin einen von der Entscheidung abweichenden Wunsch geäußert habe. Ein Absehen von einer (erneuten) Anhörung des Kindes kommt in Kinderschutzverfahren einschließlich der Verfahren auf Erlass einer Verbleibensanordnung aufgrund der Neufassung des § 68 Abs. 5 FamFG ohnehin nicht mehr in Betracht.
Autor: Wolfgang Keuter, stellvertretender Direktor am AG, Glandorf
FF 3/2022, S. 92 - 98