BGB § 1602 § 1610 Abs. 2
Leitsatz
1. Der Erwerb des Realschulabschlusses entspricht nicht den Anlagen und Fähigkeiten einer behinderten Minderjährigen, wenn sie nach Abschluss einer Förderschule mit Schwerpunkt Lernen und abgeschlossener Ausbildungsvorbereitung verspätet in einen Online-Kurs eines Lernzentrums zur Vorbereitung auf den Realschulabschluss eingestiegen ist, der an die Organisationsstruktur und Disziplin des Lernenden sowie die Kompetenz des Selbstlernens erhöhte Anforderungen stellt und keine Leistungskontrollen und keinen Englischunterricht vorsieht, und eine verpflichtende Buchbesprechung im Fach Deutsch nicht unternommen sowie die Abschlussprüfung und eine mögliche Nachprüfung nicht angetreten hat, weil sie sich ihr nicht gewachsen fühlte.
2. Auch ein minderjähriges Kind ist zur Erwerbstätigkeit verpflichtet, wenn es nicht mehr schulpflichtig ist und sich nicht ausbilden lässt.
(LS der Red.)
AG Bruchsal, Beschl. v. 28.6.2022 – 5 F 100/22 (rk)
1 Aus den Gründen
Gründe: I. [1] Der Antragsteller ist Vater der Antragsgegnerin, welche im Haushalt ihrer Mutter lebt.
[2] Mit Anerkenntnisbeschluss vom 27.11.2017 (AG Bruchsal – 2 F 818/17) wurde der Antragssteller zur Zahlung des Mindestunterhalts verpflichtet. Dies in Abänderung eines bereits vorher bestehenden Unterhaltstitels (Jugendamtsurkunde). Der Antragssteller ist dieser Verpflichtung bis einschließlich 31.12.2021 nachgekommen.
[3] Der Antragsteller forderte die Antragsgegnerseite außergerichtlich mehrfach zur Auskunft über ihren schulischen Werdegang, ihrer Entwicklung und Zukunftspläne (Ausbildungsbeginn) auf. Auf das Schreiben vom 28.10.2021, welches per Einschreiben übersandt wurde, erfolgte keine Reaktion der Antragsgegnerin.
[4] Die Antragsgegnerin hat bis Juli 2020 eine Förderschule mit Förderschwerpunkt Lernen besucht und das dortige Bildungsziel erreicht. Anschließend hat sie die … -Schule bis Juli 2021 besucht und mit der Ausbildungsvorbereitung dual abgeschlossen, was dem Erwerb des Hauptschulabschlusses entspricht. Während des Schuljahres an der … -Schule hatte die Antragsgegnerin keinen Englischunterricht.
[5] Ab dem 1.11.2021 war die Antragsgegnerin für den Onlinekurs des Lernzentrums … zur Vorbereitung auf den Realschulabschluss eingeschrieben. Eine Zulassung zur Realschulabschlussprüfung für Schulfremde 2022 (Schulfremdenprüfung) durch das staatliche Schulamt liegt vor. Im Rahmen der Prüfung hätte von der Antragsgegnerin im Fach Deutsch eine Lektürebesprechung durchgeführt und im Fach Englisch eine Übersetzung angefertigt werden müssen.
[6] Die Antragsgegnerin hat an den Abschlussprüfungen, welche am 17.5.2022 mit dem Fach Deutsch begonnen haben, nicht teilgenommen. Für die Nachprüfungen, welche am 21.6.2022 begonnen haben, hat sie sich nicht angemeldet. Sie möchte sich im Mai 2023 nochmals zur Prüfung anmelden, was sie bisher aber noch nicht unternommen hat.
[7] Mit Schreiben vom 26.1.2022 – bei Gericht am selben Tage eingegangen – wurde Abänderungsantrag gestellt. Das Gericht hat daraufhin das schriftliche Vorverfahren angeordnet.
[8] Innerhalb der Notfrist erfolgte die Verteidigungsanzeige durch Schriftsatz der Kanzlei … , vom 10.2.2022. Eine Begründung wurde mit Schriftsatz vom 24.2.2022 nachgereicht.
[9] Mit den Beteiligten wurde am 8.4.2022 mündlich verhandelt. Zu diesem Termin erschien die Antragsgegnerin – trotz vorherigen Hinweises des Gerichts – ohne bevollmächtigten Vertreter. Auf das Protokoll vom 8.4.2022 wird verwiesen.
[10] Mit Beschl. v. 8.4.2022 erging Versäumnisbeschluss gegen die Antragsgegnerin.
[11] Der Antragsteller ist insbesondere der Auffassung, dass der geplante Realschulabschluss im vorhandenen Zeitfenster und in Anbetracht der Fähigkeiten der Antragsgegnerin von vornherein nicht erreichbar gewesen sei. Weiter, dass die Antragsgegnerin neben der Teilnahme am Onlinekurs noch einer zumindest teilweisen Erwerbstätigkeit hätte nachgehen müssen. Da sie das nicht getan habe, seien fiktive Einkünfte zugrunde zu legen. Im Übrigen sei auch das von ihr bezogene Pflegegeld, was an die Kindesmutter ausgekehrt wird, unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen.
[12] Der Antragsteller hat zuletzt beantragt:
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den Einspruch gegen den Versäumnisbeschluss vom 8.4.2022 als unzulässig zu verwerfen, |
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hilfsweise, den Versäumnisbeschluss vom 8.4.2022 aufrecht zu erhalten und der Antragsgegnerin auch die weiteren Kosten der Säumnis aufzuerlegen. |
[13] Die Antragsgegnerin hat zuletzt beantragt:
1. Der Versäumnisbeschluss vom 8.4.2022 ist aufzuheben.
2. Der Antragsteller schuldet weiterhin gemäß Beschl. v. 27.11.2017 (Amtsgericht Bruchsal, 2 F 818/17) der Antragsgegnerin Unterhalt in Höhe von 100 % des jeweiligen Mindestunterhaltes der 3. Altersstufe abzgl. des jeweiligen anzurechnenden hälftigen Kindergeldes, dies entspricht nach gegenwärtiger Rechtsprechung einem monatlichen Zahlbetrag in Höhe von 423,50 EUR.
[14] Die Antragsgegnerseite ist der Ansicht, dass der Einspruch gegen den Versäumnisbeschluss form- und fristgerecht erhoben wurde und die Antragsgegnerin ihre besteh...