Seit mindestens 30 Jahren wird bei Gerichtsverhandlungen in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren mit der "Pseudo-Diagnose PAS" (Parental Alienation Syndrome) oder "Eltern-Kind-Entfremdungssyndrom" auch im deutschen Sprachraum argumentiert und häufig wird die Existenz dieser Diagnose nicht hinterfragt.[2]

Elternteilen, meist Müttern, wird damit von Sachverständigen in deren Gutachten bescheinigt, sie zeigten "fehlende Bindungstoleranz" und würden "emotionalen Missbrauch" betreiben. Infolgedessen wurden bereits mehrfach Kinder und Jugendliche gegen ihren Willen zu Besuchen mit dem abgelehnten Elternteil gezwungen. Es wurde dem sorgeberechtigten Elternteil die Erziehungsfähigkeit abgesprochen und dem abgelehnten Elternteil zugesprochen, obwohl in manchen Fällen der Verdacht auf Misshandlung durch den abgelehnten Elternteil bestand oder sogar Verurteilungen gegen den Elternteil vorlagen, dem das Kind zugesprochen wurde.

Dieser Beitrag zeigt die aktuelle Situation in der österreichischen und deutschen Rechtsprechung und unterstreicht, dass es keine Situationen gibt, in denen der Kindeswille übergangen werden darf, weil er angeblich manipuliert wurde. Stets ist das Kindeswohl die zu beachtende zentrale Maxime in diesen Verfahren.

Der 3. GREVIO Bericht[3] zeigt aufgrund verschiedener Studien, dass Behauptungen von Parental Alienation genutzt wurden, um Vorwürfe häuslicher Gewalt und sexuellen Missbrauchs zu negieren und dass in einer Vielzahl von Fällen, in denen es Hinweise auf das Vorliegen von häuslicher Gewalt gab, diese "Befürchtungen" verschwanden, sobald in den familienrechtlichen Verfahren der Fokus auf das Konzept der Eltern-Kind-Entfremdung gelegt wurde.[4]

Die angebliche Diagnose "PAS" (Parental Alienation Syndrome) ist zwar als Plädierformel gebräuchlich, wissenschaftlich aber höchst umstritten. Ihre angeblichen Diagnosekriterien, entsprechende Einteilungen und Schweregrade sind nicht empirisch abgesichert, weshalb im Folgenden auch von Pseudodiagnose und Pseudosyndrom gesprochen wird.

[2] Vgl. auch Fegert/Kliemann, Das Verständnis von Bindung in Entwicklungspsychologie, Entwicklungspsychopathologie und Familienrecht Zirkelschlüsse und Missverständnisse, in: Görtz/Schwenzer/Seelmann/Taupitz (Hrsg.), FS Brudermüller, S. 173-188.
[3] Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence – Expert*innengremium, welches international die Umsetzung der Istanbul-Konvention überwacht (2021: 3. GREVIO Bericht, Seite 48: 3rd General Report on GREVIO's Activities, Herausgeber: Council of Europe, June 2022: Zugriff: 2.3.2023 https://rm.coe.int/prems-055022-gbr-2574-rapportmultiannuelgrevio-texte-web-16x24/1680a6e183.

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