Interview mit Ministerialdirigentin Dr. Birgit Grundmann, BMJ
Dr. Birgit Grundmann
FF/Schnitzler: Der Bundestag hat relativ spät den Weg für die Unterhaltsrechtsreform frei gemacht. Das Gesetz ist erst kurz vor dem Jahreswechsel verkündet und in das BGBl hineingebracht worden. Insofern sind die Rechtsanwender einigermaßen erstaunt, dass das Gesetz doch noch den Bundestag und dann den Bundesrat passiert hat.
Dr. Grundmann: Ich würde mich freuen, wenn die Rechtsanwender freudig erstaunt sind, denn die zügige Umsetzung der im Koalitionsvertrag vereinbarten und von der Bundesregierung bereits am 5. April 2006 beschlossenen Reform ist gerade von der Praxis immer wieder gefordert worden. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Betreuungsunterhaltsanspruch nichtverheirateter Eltern im Frühjahr 2007 war relativ schnell klar, dass diese Entscheidung auch Auswirkungen auf die innerhalb der Koalitionsfraktionen unterschiedlich bewertete Frage des Rangs der nichtverheirateten Elternteile hat. Die Bundesministerin der Justiz hat deshalb schon im Sommer 2007 eine Neuformulierung der §§ 1570 und 1615l BGB vorgeschlagen, die jetzt auch Gesetz geworden ist. Zugleich hat sie deutlich gemacht, dass es nach der verfassungsgerichtlichen Entscheidung bei der von der Bundesregierung ursprünglich vorgeschlagenen Rangfolge bleiben muss, also beim Gleichrang der Betreuungsunterhaltsansprüche von verheirateten bzw. geschiedenen und nichtverheirateten Eltern. Diese Auffassung teilten nach kurzer Diskussion auch jene Parlamentarier, die zuvor einer solchen Gleichstellung kritisch gegenüberstanden. Der Bundesrat stand der Reform ohnehin von Anfang an positiv gegenüber, so dass auch hier keine Verzögerungen mehr eingetreten sind. Ich verstehe natürlich, dass der eine oder andere Rechtsanwender gerne eine Übergangsfrist gehabt hätte, die der Regierungsentwurf ja noch vorgesehen hat. Aber die Reforminhalte waren immerhin seit langem bekannt und Gegenstand vieler Fortbildungsveranstaltungen. Und die vom Bundestag gegenüber dem Regierungsentwurf vorgenommenen Änderungen sind letztlich doch recht überschaubar. Außerdem ist ein Inkrafttreten zum Jahresbeginn ein gutes Datum; das Unterhaltsrecht folgt damit dem Kalenderjahr und dem Steuerrecht.
FF/Schnitzler: Als Praktiker bin ich erstaunt, wie unterschiedlich einzelne Oberlandesgerichte z.B. zu der Frage Stellung nehmen, inwieweit beim Ehegattenunterhalt vorab der Barbetrag bzw. der Tabellenunterhaltsbetrag abgezogen wird. Gleiches gilt auch für die unterschiedliche Behandlung der Frage der Einzelfallentscheidung statt des bisherigen überholten Altersphasenmodells.
Dr. Grundmann: Ich denke, wir können froh sein, dass die neuen, inzwischen einem einheitlichen Schema folgenden unterhaltsrechtlichen Leitlinien bereits vorliegen. Gerade weil das Gesetz kurzfristig in Kraft getreten ist, ist dies eine großartige Leistung.
Natürlich ist es bei einem neuen Gesetz nicht ganz einfach, der Praxis Orientierung zu geben, ohne auf eine bereits gefestigte Rechtsprechung zurückgreifen zu können oder diese vorwegzunehmen. Schon deshalb verwundert es mich nicht, dass die Leitlinien nicht ganz einheitlich ausfallen. Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Lebensverhältnisse in den Gerichtsbezirken unterschiedlich sind und zu unterschiedlichen Gewichtungen führen können. Ich habe aber keinen Zweifel, dass die Leitlinien im Großen und Ganzen in die richtige Richtung gehen und eine sehr wertvolle Hilfe sein werden, die Reform in der Praxis mit Leben zu füllen.
Bei der Frage der Berücksichtigung des Kindergeldes beim Ehegattenunterhalt sehe ich allerdings mit Bedauern, dass verschiedene Oberlandesgerichte daran festhalten wollen, den Tabellenunterhalt abzusetzen. Das entspricht nicht der Zielsetzung, die der Gesetzgeber in der neu geregelten Verrechnung des Kindergeldes nach § 1612b BGB zum Ausdruck gebracht hat. Ich bin aber zuversichtlich, dass diese Frage von den Gerichten rasch geklärt werden wird. Bei der Dauer des Betreuungsunterhaltes lassen die neuen Leitlinien ganz überwiegend der Praxis den Raum, der für die notwendige Weiterentwicklung der Rechtsprechung und die gebotene Einzelfallentscheidung erforderlich ist. Ich sehe allerdings auch die Versuchung, ein dem überholten Altersphasenmodell vergleichbares neues Modell zu schaffen. Die Praxis strebt aus verständlichen Gründen nach Rechtssicherheit und klaren Kriterien. Ein schematisches Vorgehen entsprechend dem bisherigen Altersphasenmodell ist mit dem Gesetz aber eindeutig nicht vereinbar. Die Frage der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils hängt nach der Reform eben nicht allein vom Alter des zu betreuenden Kindes ab. Die Orientierungswerte müssen daher offen sein und genügend Raum für die vom Gesetzgeber vorgegebene Einzelfallprüfung lassen.
FF/Schnitzler: Relativ unbemerkt von der Öffentlichkeit ist auch die Reform des Versorgungsausgleichs auf die Schiene gesetzt worden. Wie ist der derzeitige Sachstand?
Dr. Grundmann: Wir haben...