Mit dem vorstehenden Beschluss scheinen die mittlerweile acht Jahre andauernden gerichtlichen Auseinandersetzungen[1] um den Aufenthalt und den Umgang mit dem bisher bei Pflegeeltern lebenden, außerehelich geborenen Sohn des Herrn Görgülü ihren vorläufigen Abschluss gefunden zu haben. Das wäre vor allem dem Kind, aber auch den übrigen Beteiligten zu wünschen. Vor dem Hintergrund der bisherigen Entwicklung des Falles überrascht es nicht, dass das Kind in seiner familiengerichtlichen Anhörung ein baldiges Ende seiner zahlreichen Befragungen durch immer andere Personen und eine sofortige Klärung seiner Zukunft wünschte.[2]

Der BGH hatte in seiner Entscheidung vom 26.9.2007[3] noch eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater abgelehnt, weil auf Grundlage der damaligen Feststellungen des OLG[4] aus Dezember 2006 bisher keine für einen Wechsel ausreichend tragfähige Bindung des Kindes zum Vater bestehe.[5] Zu verantworten haben dies nach Auffassung des BGH neben den Pflegeeltern im Wesentlichen die anfangs befassten Behördenmitarbeiter und insbesondere der 14. Zivilsenat des OLG Naumburg, die die vom Kindeswohl gebotenen Maßnahmen nicht mit dem nötigen Nachdruck gefördert haben. Der BGH forderte allerdings in überzeugender Umsetzung des in diesem Fall ergangenen Urteils des EuGHMR[6] und der Folgeentscheidungen des BVerfG[7] eine umgehende Erweiterung des Umgangs[8] und einen baldigen Wechsel des Kindes von den Pflegeeltern zum Vater. Grundlage dafür war die gebotene verfassungs- und konventionskonforme[9] Auslegung des Maßstabs der "Dienlichkeit" gem. § 1672 Abs. 1 Satz 2 BGB[10], wonach die Übertragung der elterlichen Sorge bei einem Konflikt mit Dritten regelmäßig auf den Vater zu erfolgen hat,[11] so dass seine vorrangige Erziehungszuständigkeit bereits dann besteht, wenn sie dem Wohl des Kindes nicht widerspricht.[12]

Maßgeblich für den nunmehr vom Familiengericht einstweilen angeordneten Aufenthaltswechsel waren sowohl die weitere Intensivierung der Kontakte des Kindes zum Vater, dessen familiären Lebensalltag es mittlerweile kennt, der Wechselwunsch des Kindes, das sich dort auch nach Beurteilung zweier Psychologen wohlfühlt, die keine Bedenken gegen einen Wechsel haben, als auch die Zustimmung der Pflegeeltern, des Amtsvormunds und des Jugendamts.[13] Diese Umstände begründen zu Recht die Erwartung des Familiengerichts, dass der gewählte rechtliche Rahmen der einstweiligen Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater eine ausreichende Sicherheit zur Neuorientierung ermöglicht und die Beziehung des Kindes zu den bisherigen Pflegeeltern und dem Pflegebruder durch Umgangskontakte aufrechterhält.

Mitgeteilt und kommentiert von Georg Rixe, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht, Bielefeld

[1] Vgl. bereits: Willutzki, Kind-Prax 2005, 41 ("unendliche Geschichte").
[2] Zu dieser Problematik siehe auch: Willutzki, Kind-Prax 2005, 17.
[3] BGH FF 2007, 313 = FamRZ 2007, 1969 m. kritischer Anm. Zenz, S. 2060. Die Entscheidung enthält eine eingehende Darstellung des Verlaufs des Falles.
[4] OLG Naumburg FamRZ 2007, 665.
[5] BGH FF 2007, 313, 318.
[6] EuGHMR FamRZ 2004, 1456 m. Anm. Rixe, S. 1460, s. auch: Rixe, Zur Rechtsprechung des EuGHMR in Kindschaftssachen, in: Deutscher Familiengerichtstag (Hrsg.), Sechzehnter Familiengerichtstag 2005, 2006, S. 57, 73 f.
[7] BVerfG FF 2005, 39 (LSe) = FamRZ 2004, 1857 m. Anm. Rixe, S. 1863; FF 2005, 39 (LSe) = FamRZ 2005, 173 m. Anm. Rixe, S. 176; FamRZ 2005, 783 m. Anm. Rixe, S. 785; FamRZ 2005, 1233; FF 2007, 103; FF 2007, 106.
[8] Diese erfolgte durch Beschl. des AG Wittenberg v. 13.11.2007 – 4 F 731/07 UG.
[9] Vgl. bereits Rixe, FamRZ 2004, 1460, 1463 f.
[10] Ungeachtet dessen ist das Vetorecht der Kindesmutter nach der Grundnorm des § 1626a I Nr. 1, II BGB – auch angesichts der bisher nicht eingelösten Beobachtungspflicht des Gesetzgebers nach BVerfG FF 2003, 27, 53 (LSe, Tenor) = FamRZ 2003, 285 – gem. Art. 6 II, 3 I, II, 6 V GG als verfassungswidrig sowie gem. Art. 8, 14 EMRK als konventionswidrig anzusehen. Darüber hinaus ist es rechtspolitisch und rechtsvergleichend unausgewogen, vgl. auch: Staudinger/Coester (2007), § 1626a BGB, Rn 3, 8; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 5. Aufl. 2006, § 57 X, Rn 141, 65 V, Rn 52 ff.; Lüderitz/Dethloff, Familienrecht, 28. Aufl. 2007, S. 332 f.; Muscheler, Familienrecht 2006, Rn 593; Rauscher, Familienrecht, 2. Aufl. 2008, Rn 973; Rixe, [Fn 6], S. 57, 65 ff.; Willutzki, Kind-Prax 2005, 197, 198. Vergleichbaren Einwendungen ist entgegen BVerfG FamRZ 2003, 1447 auch das Vetorecht der Kindesmutter bei einem Elternstreit um den Aufenthalt des Kindes gem. § 1672 I BGB ausgesetzt, siehe nur: Coester, FamRZ 2004, 87; Gernhuber/Coester-Waltjen, a.a.O., § 65 V Rn 59 ff.; Muscheler, a.a.O., S. 306, f.; Rixe, a.a.O., S. 57, 67; Schumann, FuR 2002, 59, 65 ff.; Weber, NJW 2004, 3084, 3088. Der Gesetzgeber ist deshalb – auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG, FF 2007, 193 (LS) = FamRZ 2007, 965 zur Verfassungswidrigkeit der un...

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