Mit dem Gebot der Teilhabe war kaum jemals die Vorstellung verbunden, dass der Unterhaltsberechtigte einmal mehr zur Verfügung haben sollte als der Unterhaltspflichtige selbst. Der Unterhaltsberechtigte sollte nach der Gesetzesbegründung an dem erreichten höheren sozialen Status teilhaben, nicht aber an einem Status, den der Unterhaltspflichtige selber auf Grund von Einkommensrückgängen längst nicht mehr genießt.
Dass es überhaupt zu solcher Fehlvorstellung kommen konnte, beruht auf einer Überbetonung des Begriffs der Prägung, der wie das Stichtagsprinzip dem Gesetz nicht zu entnehmen ist. Allein die Prägung kann eine unveränderte Fortschreibung eines früher einmal vorhandenen (dann quasi eingefrorenen) Lebensstandards nicht begründen. Dass der Unterhaltspflichtige an einem früheren Zustand festgehalten werden soll, lässt sich doch nur rechtfertigen, wenn ihm entweder
- vorzuwerfen ist, den Zustand nicht aufrechterhalten zu haben,
- oder ihm vorgehalten werden kann, er habe sich mit wirtschaftlichen oder persönlichen Dispositionen, die sein Einkommen schmälern, im Hinblick auf die bestehende Unterhaltspflicht zurückhalten oder für entstehende Lücken anderweitige Vorsorge treffen müssen.
Dass die Entwicklung beim Unterhaltspflichtigen einschließlich des Stichtags bei der Unterhaltsbemessung anders zu bewerten ist als beim Unterhaltsberechtigten, dürfte an sich nicht zweifelhaft sein. Das ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit bei einer Betrachtung der gesetzlichen Unterhaltstatbestände und ihrer Einsatzzeitpunkte.
Der Unterschied zwischen Unterhaltsschuldner und Unterhaltsgläubiger lässt sich etwa am Beispiel von Unterhaltspflichten gegenüber Kindern (Betreuungs- oder Barunterhalt) verdeutlichen. Hat der Unterhaltspflichtige ein Kind in die Ehe mitgebracht, so handelt es sich zweifellos um eine die ehelichen Lebensverhältnisse prägende Unterhaltslast. Ist es nun der Unterhaltsberechtigte, der ein Kind mit in die Ehe gebracht hat, gilt zunächst das gleiche. Auch die Betreuung dieses Kindes, unter Umständen sogar auch der vom Stiefvater getragene Kindesunterhalt, prägen die ehelichen Lebensverhältnisse.
Anders verhält es sich nach der Scheidung. Nach der Scheidung fällt, abgesehen vom seltenen Billigkeitsunterhalt nach § 1576 BGB, die Unterhaltslast gegenüber dem Kind als bedarfsbestimmende Größe weg. Der Unterhaltsberechtigte kann sich auch nicht auf die Betreuung dieses Kindes berufen, um eigenen Unterhalt geltend zu machen. Diese Entscheidung ist im Gesetz ausdrücklich getroffen, indem vom Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB nur gemeinsame Kinder erfasst werden.
Ganz ähnlich verhält es sich etwa beim Altersunterhalt: Erreicht der Unterhaltsberechtigte ein halbes Jahr nach der Scheidung die gesetzliche Altersgrenze, so ist dies sicher eine Entwicklung, die zum Zeitpunkt der Scheidung hinreichend wahrscheinlich vorauszusehen war. Das Gesetz stellt hier dennoch in § 1571 BGB auf den Einsatzzeitpunkt der Scheidung ab und normiert damit einen Stichtag. Wenn dagegen der Unterhaltspflichtige nach der Ehescheidung die Altersgrenze erreicht und nur noch ein geringeres Einkommen erzielt, bemisst sich der Unterhalt zutreffend nur nach dem gesunkenen Einkommen, obwohl es sich um eine Änderung nach dem Stichtag handelt.
Aber ist es nun gerecht, wenn der Unterhaltsberechtigte schlechter behandelt wird als der Unterhaltspflichtige? Die Antwort lautet: Ja, das ist gerecht!
Denn es ist ja der Unterhaltsberechtigte, der aus dem höheren Einkommen des Unterhaltspflichtigen seinen Unterhaltsanspruch ableitet. Er zapft mit anderen Worten ein fremdes Reservoir an und ist folglich auf das verwiesen, was beim Unterhaltspflichtigen zur Verfügung steht. Bei den für die Bedürftigkeit maßgeblichen Faktoren ist im Gegensatz dazu danach zu unterscheiden, ob sie in die Verantwortung des anderen Teils fallen.
Eine Symmetrie existiert im nachehelichen Unterhaltsrecht nicht. Der Unterhalt ist eine Einbahnstraße. Das zeigt sich schon daran, dass Gegenleistungen für den Unterhalt nicht mehr verlangt werden können. Allein weil der geschiedene Mann der geschiedenen Hausfrau vollen Barunterhalt leistet, käme niemand auf die Idee, dass sie ihm als Gegenleistung den Haushalt in Ordnung halten müsste.