Die größte Benachteiligung erfuhr durch das strenge Stichtagsprinzip indessen – wie erwähnt – die unterhaltsberechtigte Hausfrau, die nach der Scheidung erstmals wieder erwerbstätig wurde. Hier praktizierte der BGH über Jahrzehnte unbeirrt die Anrechnungsmethode. Als er seine Rechtsprechung im Jahr 2001 änderte, waren allerdings konstruktive Versuche, dennoch einen Bezug zu den ehelichen Lebensverhältnissen herzustellen und das Stichtagsprinzip aufrechtzuerhalten, zum Scheitern verurteilt. Weder eine Monetarisierung der Haushaltsführung und Kinderbetreuung noch eine Betrachtung der Erwerbstätigkeit als deren Surrogat bieten dafür eine tragfähige Grundlage.
Die bessere Begründung lag vielmehr in einer Benachteiligung des nach dem Grundgesetz rechtlich (nicht wirtschaftlich) gleichwertigen Modells der Hausfrauenehe und der Entscheidungsfreiheit der Ehegatten, wie sie das Bundesverfassungsgericht in seiner anschließenden Entscheidung herausgestellt hat. Wohlgemerkt: Die nunmehr als verfassungswidrig gebrandmarkte Anrechnungsmethode folgte aus dem konsequent durchgeführten Stichtagsprinzip und dem damit verbundenen Erfordernis der Prägung. Unberücksichtigt blieb neben der Gleichbehandlung der Ehetypen vor allem auch der Umstand, dass die Ehefrau zur nicht eheprägenden Erwerbstätigkeit sogar gesetzlich verpflichtet war. Dass die Rechtsprechungsänderung des BGH in der Sache eine Anwendung des Grundsatzes der Berücksichtigung geänderter Verhältnisse darstellte, wurde seinerzeit nur ganz vereinzelt erkannt.
Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 6.2.2008 hervorgehoben, dass Veränderungen im Einkommen, seien es Verbesserungen oder Verschlechterungen, beim Unterhaltspflichtigen wie beim Unterhaltsberechtigten grundsätzlich in gleicher Weise zu berücksichtigen sind. Dadurch entsteht allerdings der trügerische Eindruck einer Symmetrie zwischen Unterhaltspflichtigem und Unterhaltsberechtigtem. Eine solche Symmetrie kann es nicht geben. Denn es bedeutet einen wesentlichen Unterschied, ob es sich um die Verhältnisse beim Pflichtigen oder beim Berechtigten handelt. Da der Unterhalt aus den besseren Verhältnissen des anderen Ehegatten hergeleitet werden soll, ist ein Ehebezug insoweit erforderlich, als durch das höhere Einkommen tatsächlich einmal ein höherer Lebensstandard begründet worden sein muss. Ein Standard kann mit anderen Worten nur garantiert werden, wenn er einmal tatsächlich vorhanden war oder zumindest die Erwartung so manifest war, dass sie sich auf den aktuellen Lebensstandard schon niedergeschlagen hatte.
Wollte man hier dagegen jedwede spätere Einkommenssteigerung unterhaltserhöhend wirken lassen, so würde man den Unterhaltsschuldner wie ein Wertpapier behandeln, das im Besitz des Unterhaltsgläubigers noch lange nach der Scheidung eine Dividende oder einen Veräußerungsgewinn abwerfen kann.