Der Unterhaltsrechtler ist damit vertraut, Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit voneinander zu unterscheiden. Auf diese Unterscheidung baut das Gesetz auf, indem es in §§ 1577, 1578 BGB Bedürftigkeit und Bedarf festlegt und sodann erst in § 1581 BGB eine Anpassung nach der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen vorsieht.
Bedarf und Leistungsfähigkeit lassen sich unschwer voneinander trennen, wenn der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten nach individuellen Kriterien bestimmt wird, die ausschließlich auf die konkreten – oder typisierten – Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten selbst abstellen. Die am ehesten quantifizierbare Bedarfsbestimmung in diesem Sinne bietet das Existenzminimum.
Beispiele für die absolute Bedarfsbestimmung sind nach geltendem Recht der Unterhalt nach § 1615l BGB, der Elternunterhalt oder der Unterhalt volljähriger Kinder mit eigener Lebensstellung. Man könnte die hier zur Anwendung kommende Art der Bedarfsbestimmung auch als absolute Methode bezeichnen. Erst nach Feststellung des Bedarfs folgt bei der Leistungsfähigkeit eine Abwägung zwischen den Interessen der am Unterhaltsrechtsverhältnis Beteiligten, die dann die endgültige Höhe des Unterhalts bestimmt.
Schwieriger wird die Differenzierung zwischen Bedarf und Leistungsfähigkeit, wenn sich der Bedarf nicht nach absoluten, sondern nach relativen Kriterien bestimmt. Nach der relativen Methode bestimmt sich der Bedarf nicht (nur) nach dem Unterhaltsberechtigten selbst, sondern vorwiegend nach den Verhältnissen des Unterhaltspflichtigen. Lebensstellung und Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten knüpfen hier an die Stellung des Unterhaltspflichtigen an. Beispiele für die relative Bedarfsbestimmung sind der Unterhalt minderjähriger Kinder und der Ehegattenunterhalt.
Für den Ehegattenunterhalt haben wir dementsprechend seit Jahrzehnten regelrecht verinnerlicht, dass der Unterhalt nach einer Quote zu berechnen ist. Das ist aber nicht selbstverständlich und betrifft im Grunde auch nur das mittlere Einkommenssegment.
Lassen Sie mich ein Beispiel aufgreifen, das Engelmann in seiner Staudinger-Kommentierung aus dem Jahr 1910 gebildet hat:
Der (schuldig geschiedene) Ehemann, der ein Einkommen von 6.000 Mark erzielte, benötigte zu seinem standesgemäßen Bedarf 5.000 Mark, die Ehefrau (nur) 3.000 Mark (jeweils jährlich). Die Leistungsfähigkeit des Mannes reichte folglich nicht aus. Für diesen Fall sah das Gesetz in § 1579 BGB-1900 vor, dass er nur 1/3 seines verfügbaren Einkommens (also 2.000 Mark) für den Unterhalt hergeben musste und 2/3 (4.000 Mark) für sich behalten durfte.
Der heutige, an den Quotenunterhalt gewöhnte Unterhaltspraktiker würde dagegen schon bei der Bedarfsermittlung fragen: Wie kann es denn sein, dass die Ehegatten bei einem zur Verfügung stehenden Einkommen von 6.000 Mark einen Bedarf von zusammengerechnet 8.000 Mark hatten?
Das Beispiel von Engelmann dürfte den Bedarf in der Lebenswirklichkeit dennoch ganz gut treffen. Denn mit der Trennung entfällt auch der Vorteil, der aus dem gemeinsamen Wirtschaften folgt. Was bei der Bedarfsermittlung nach Quoten sozusagen unter den Tisch fällt, ist der trennungsbedingte Mehrbedarf. Die Unterhaltsbemessung, die seit der Fußpflegerin-Entscheidung den trennungsbedingten Mehrbedarf so gut wie vollständig vernachlässigt, geht damit sogar sehenden Auges an dem konkreten Bedarf der Ehegatten vorbei. Dass darauf kein massenhaftes Aufbegehren gefolgt ist, erklärt sich daraus, dass das Ergebnis der Unterhaltsberechnung als gerecht empfunden wird. Der trennungsbedingte Mehrbedarf braucht nicht gesondert erfasst zu werden, weil beiden Ehegatten bei Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes dafür die gleichen Mittel zur Verfügung stehen.
Wesentlich ist, dass der nach der Quotenmethode ermittelte Bedarf bereits das Ergebnis eines Verteilungsvorgangs ist, in den die Interessen beider Ehegatten mit einbezogen sind. Einer Kontrolle auf Grund der Leistungsfähigkeit bedarf es dann nicht mehr. Bei (relativer) Ableitung auf Grund einer Quote ist das Einkommen des Unterhaltspflichtigen im Unterhaltsprozess mithin eine sog. doppelrelevante Tatsache: Zum einen bestimmt sie den Bedarf des Unterhaltsberechtigten, zum anderen die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen.
Ein ganz ähnliches Phänomen ergibt sich in einem anderen Zusammenhang. Das Gesetz geht davon aus, dass der Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen höher liegt als der angemessene Bedarf. Es kann sich bei einer Bedarfsermittlung nach Quoten hingegen auch umgekehrt verhalten, wenn nämlich der Quotenbedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen unter dem angemessenen Bedarf liegt oder sogar – kaum der Lebenswirklichkeit entsprechend – unterhalb des Existenzminimums.
Auch jüngere Entscheidungen des BGH gehen davon aus, dass der Bedarf eines Ehegatten nach den ehelichen Lebensverhältnissen unterhalb des Existenzminimums liegen kann. Wohlgemerkt beruht dies auf einer Überbewertung der Unterhaltsberechnung nach Quoten, und es erscheint erwä...