Lässt § 1578 Abs. 1 diese Neuinterpretation zu? Im Gesetz ist nur von "ehelichen" Lebensverhältnissen die Rede. Die Ehe beginnt mit der Heirat und endet mit Rechtskraft der Scheidung. Auch wenn dem Begriff eine gewisse Öffnungsoption immanent ist, sind schon allein nach dem Wortlaut der Berücksichtigung jeder außerehelichen Entwicklung Grenzen gesetzt: Wirtschaftlich vorteilhafte oder auch nachteilige Umstände aus der Zeit vor der Eheschließung sind ebenso wenig von Bedeutung wie Verbesserungen oder Verschlechterungen nach der Scheidung.
Im Ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976 wurden die ehelichen Lebensverhältnisse in Anlehnung an die "Lebensverhältnisse der Ehegatten" gem. § 58 Abs. 1 EheG in den neuen § 1578 übernommen. In der Gesetzesbegründung wird dazu ausgeführt, dass es ein Gebot der Gerechtigkeit und Sozialstaatlichkeit sei, nicht nur die Scheidung selbst, sondern auch das Unterhaltsrecht vom Verschuldensprinzip zu lösen. Der Unterhaltsanspruch sollte gewährleisten, dass im Fall der Scheidung – unabhängig von jeder Schuldfrage – beide Partner in gleichem Maße die wirtschaftlichen Folgen und das Risiko zu tragen haben, die in der Ehe erwirtschaftete soziale Stellung einzubüßen. Zu diesem Zweck wurde unter Bezugnahme auf die nacheheliche Solidarität sogar die Möglichkeit eines dauerhaften Unterhaltsanspruchs zur Sicherung der ehelichen Lebensverhältnisse – eine sog. Lebensstandardgarantie – im Gesetz verankert, eingeschränkt nur insoweit, als sich die Inanspruchnahme des Verpflichteten als grob unbillig darstellt (§ 1579). Die Höhe des Unterhaltsanspruchs wurde nach einem Maßstab festgelegt, der zuvor nur auf den schuldig geschiedenen Mann Anwendung fand. Wenn die Scheidung nun schon gegen den Willen eines Ehepartners möglich war, sollte durch die Anbindung an die ehelichen Lebensverhältnisse zur Vermeidung eines sozialen Abstiegs des wirtschaftlich schwächeren Ehepartners wenigstens der Lebensstandard in der Ehe aufrechterhalten werden. Diese Gewährleistung beschränkt den Anspruch aber auch auf das Niveau der ehelichen Lebensverhältnisse und bietet damit dem Unterhaltsverpflichteten Schutz davor, dass sich die "ehelichen Lebensverhältnisse" seiner geschiedenen Ehe mit den "ehelichen Lebensverhältnissen" einer neuen Ehe vermischen. Der Sinn der Bezugnahme auf die "ehelichen Lebensverhältnisse" war es also auch, eine Zäsur zu setzen. Damit der Begriff seine ihm zugedachte Funktion erfüllen kann, dürfen die "ehelichen Lebensverhältnisse" nicht sukzessive mit nachehelichen Entwicklungen, die nicht der Ehe zugerechnet werden können, aufgefüllt werden. Geschieht dies, sind die ehelichen Lebensverhältnisse gerade nicht mehr Maßstab für die Bedarfsbestimmung des nachehelichen Unterhalts.
Das Wort "ehelich" in § 1578 wurde weder durch das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz aus dem Jahr 1986 noch durch das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz aus dem Jahr 2007 gestrichen. Dabei hätte angesichts der "Stärkung" der nachehelichen Eigenverantwortung des Unterhaltsberechtigten eine Abkoppelung des Bedarfs von den "ehelichen" Lebensverhältnissen durchaus nahegelegen, insbesondere in Kenntnis der durch die Entscheidung des BGH vom 15.3.2006 zum Selbstbehalt ausgelösten fachlichen Diskussionen. Der Gesetzgeber hat dennoch bewusst an der bisherigen Formulierung festgehalten und diese sogar in § 1578b wieder aufgegriffen. Auch die Aufgabe der Priorität der zeitlich vorangehenden Ehe im Rang und dessen Neuordnung gebieten es keineswegs, den Gleichrang bereits auf der Ebene des Bedarfs zu berücksichtigen, zumal gerade der BGH immer wieder betont hat, dass Rang und Bedarfsbemessung einer gesonderten Betrachtung bedürfen.
Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift ist auch noch in folgender Hinsicht aufschlussreich: Bei Anwendung der §§ 58, 59 EheG in der Fassung von 1946 bestand der BGH entgegen der herrschenden Meinung in der Literatur ausdrücklich auf einer zweistufigen Prüfung: Zunächst sei das Maß des angemessenen Unterhalts objektiv nach den "ehelichen Lebensverhältnissen" als "Lebensstandard" festzustellen. Sodann könne der so festgestellte Anspruch nach Billigkeitsgrundsätzen wieder beschränkt werden, wenn der Verpflichtete "nicht voll leistungsfähig" sei. Diese zweistufige Methodik der Rechtsanwendung wurde in das 1. EheRG übernommen und auch vom BVerfG gebilligt.