Die Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes beruht vor allem auf der Annahme, es sei gerecht, wenn – im Fall der Scheidung – Bedürftiger und Pflichtiger in gleichem Maße an den verfügbaren finanziellen Mitteln teilhaben. Diese Gleichsetzung von Gerechtigkeit und Gleichheit ist problematisch. Indem der Halbteilungsgrundsatz mit einer egalitaristischen Gerechtigkeitsauffassung begründet wird, erliegt diese Ansicht dem Missverständnis, dass Gerechtigkeit wesentlich und vor allem auf Gleichheit ziele.
Die Unterscheidung zwischen einer egalitären und einer egalitaristischen Auffassung von Gerechtigkeit und deren systematische Tragweite kann hier nur angedeutet werden. Fasst man die Entwicklung der Gerechtigkeitstheorien zusammen und bringt sie auf den Punkt, zeigt sich, dass Gerechtigkeit als Frage danach verstanden wurde, was sich Menschen im Verhältnis zueinander aus welchen Gründen schulden. Aus dieser Erkenntnis darf man jedoch nicht den Schluss ziehen, dass elementare Gerechtigkeitsansprüche relational seien: Wenn ein Mensch hungert und sich nicht selbst ernähren kann, ist ihm zu helfen, weil er ohne Hilfe zur Subsistenz seine Teilhaberechte auf Selbstbestimmung nicht realisieren kann – nicht aber nur deshalb, weil es anderen besser geht als ihm. In einer Mangelsituation wäre demnach durch die Gerechtigkeitsidee eine Verteilungsregel vorgegeben, die besagt: Je weiter ein Mensch von dem eigentlich gebotenen Lebensniveau (Zugriff auf Lebenschancen) entfernt ist, desto dringlicher ist in der Regel sein Anspruch auf Hilfe. Mit Bezug auf die Idee der Gerechtigkeit geht es folglich immer darum sicherzustellen, dass niemandem die Teilhabe an den für die Selbstbestimmung elementaren Gütern ungerechtfertigt vorenthalten wird; es geht hingegen nicht (vorrangig) um die Frage, ob jemand im Verhältnis zu einem anderen einen Mangel an bestimmten Gütern hat. Vernachlässigt man diese Differenzierung, verkürzt man also Ersteres auf Letzteres, wird das eigentliche Gerechtigkeitsproblem aus dem Blick verloren.
Für unsere Fragestellung bedeutet dies: Im Namen der Gerechtigkeit schulden wir uns eine Ordnung oder Rechtsverhältnisse, die für alle gleiche Partizipationsrechte und die grundlegenden Voraussetzungen zur Teilhabe an einem Leben als autonomes Subjekt sichern. Dabei ist jedoch festzuhalten, dass der Anspruch auf Gleichheit in diesem Zusammenhang nicht identisch mit einem Anspruch auf gleich viele oder eine bestimmte Menge Ressourcen ist, weil Gleichheit nicht das Ziel der Gerechtigkeit ist, sondern Gerechtigkeit auf Allgemeinheit zielt und Gleichheit immer nur Folgewirkung von Allgemeinheit ist. Die Gleichheitsrelation, die sich einstellt, wenn allen Hungernden geholfen ist und alle menschenwürdig leben können, ist damit das Nebenprodukt der Erfüllung eines absoluten Gerechtigkeitsstandards für alle.
Beim Halbteilungsgrundsatz wird diese Unterscheidung zwischen Gleichheit als Nebenprodukt (egalitäre Gerechtigkeitstheorie) und Gleichheit als Ziel der Gerechtigkeit (egalitaristische Gerechtigkeitstheorie) nicht berücksichtigt. Aus der Idee der gerechten Zuteilung wird der Anspruch auf die gleiche Menge der verfügbaren Ressourcen. Diese Auslegung ist durch eine tragfähige Gerechtigkeitsidee allerdings nicht gerechtfertigt, da Gerechtigkeit nicht den Anspruch auf ein gleiches Maß an bestimmten Gütern oder einen gleichen Vermögensstand meint. Mit anderen Worten: Wer den Halbteilungsgrundsatz anwenden will, muss eine egalitaristische Auslegung von Gerechtigkeit favorisieren. Diese Auffassung ist aber ihrerseits nicht zu rechtfertigen, da sie verkennt, dass Gleichheit sich nur im Zuge der Erfüllung absoluter Gerechtigkeitsstandards für alle einstellen kann. Insbesondere aber ist zu beachten, dass eine egalitaristische Auffassung von Gerechtigkeit anfällig für den Vorwurf ist, die Komplexität unserer konkreten Gerechtigkeitskultur zu missachten.
Was ist damit konkret gemeint? Die Gewährung von Unterhalt im Fall der Bedürftigkeit bei Scheidung trägt der Gerechtigkeitsidee Rechnung: Unterhalt dient dem Zweck, die Subsistenzfähigkeit des bedürftigen Partners zu sichern und ihm die Voraussetzung zu geben, seine Teilhaberechte wahrzunehmen. Das Prinzip vom Ausgleich ehebedingter Nachteile stellt darüber hinaus sicher, dass die Lasten oder Folgen der gemeinsamen Lebensführung in der Ehe bei der Scheidung nicht einseitig verteilt werden.
Mit diesen Regeln ist die im Scheidungsfall zu verteilende Masse erfasst. Der Halbteilungsgrundsatz hängt hingegen an der nicht zu rechtfertigenden Annahme, es gebe einen Rechtsanspruch auf bestimmte Lebensverhältnisse oder Zustände. Natürlich kann man fragen, ob und inwieweit ein Unterhaltsberechtigter dafür verantwortlich ist, dass der Pflichtige ein deutlich höheres Einkommen hat, erfolgreicher im Beruf war, usw. Das ist aber etwas anderes, als Halbteilung zum Grundsatz zu erheben und von der Gleichung auszugehen, Gleichheit der Menge = gerechte Teilhabe. Mit dem Recht auf Unterhalt und dem Ausgle...