Und was ist mit dem Patienten oder Betroffenen selbst?
Ohne Zweifel stärkt es seine "Patientenautonomie", dass das neue Recht die Verbindlichkeit seiner Vorausbestimmung für eine noch nicht unmittelbar bevorstehende Behandlungssituation grundsätzlich anerkennt. Denn dies – und damit außerhalb der herkömmlichen arztrechtlichen Grundsätze über die Einwilligung in einen unmittelbar bevorstehenden Eingriff – war bisher keineswegs gesichert, war doch besonders der Betreuer nur sehr viel allgemeiner an das "Wohl" des Betreuten gebunden, zu welchem lediglich "auch" die "Wünsche" des Betreuten gehören, denen der Betreuer zudem nur zu entsprechen hat, soweit diese dem Wohl nicht zuwider laufen und dies ihm zuzumuten ist (§ 1901 Abs. 2 und 3 BGB). Auch ist es vom Gedanken der Selbstbestimmung des Patienten her konsequent, die Geltung der Neuregelung – wie geschehen – nicht nur auf die Fälle eines irreversibel tödlich verlaufenden Grundleidens zu beschränken. Demgegenüber auffällig ist, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Patientenverfügung zwar i.S.d. §§ 104 ff. BGB geschäftsunfähigen, aber noch arztrechtlich einwilligungsfähigen Volljährigen zugestanden hat, nicht aber einwilligungsfähigen Minderjährigen.
Die Selbstbestimmung grundsätzlich stärken muss es auch, dass das neue Recht mit dem Erfordernis bloßer Schriftform der Patientenverfügung sehr maßvolle Formanforderungen stellt und einen Widerruf selbst formfrei zulässt, bei Widerrufsunfähigkeit notfalls über Betreuer oder Bevollmächtigten. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass Behandlungswünsche sich in der konkreten Situation ändern können; denn was einem Gesunden noch als untragbar erschienen ist, kann später als noch lebenswert empfunden werden. Von daher richtig und wichtig war es auch, einen wie auch immer gearteten Druck zur Errichtung von Patientenverfügungen ausschließen zu wollen (§ 1901a Abs. 4 BGB). Die Frage bleibt allerdings, wie die Wirklichkeit aussehen wird.
Auch deshalb müssen drei weitere Entscheidungen des Gesetzgebers beunruhigen:
– Dies betrifft zunächst den Verzicht auf eine obligatorische und besonders ärztliche Beratung vor Errichtung einer Patientenverfügung. Ist das Ergebnis eine auf die konkrete Behandlungssituation nicht passende, bestenfalls allgemeine und daher nicht bindende Verfügung, mag eine solche immer noch im Rahmen der nach § 1901a Abs. 2 BGB gebotenen Ermittlung des mutmaßlichen Willens eine Rolle spielen. Damit überantwortet sich der Betroffene aber rasch den Entscheidungsprozessen anderer. Tragbar erscheint dies aus Sicht seiner Selbstbestimmung nur, wenn er – nach Beratung – sich bewusst für die Fixierung lediglich allgemeiner Richtlinien entschieden haben sollte. Dies gilt umso mehr, falls eine unmittelbare Wirkung einer Patientenverfügung gegenüber Dritten auch bei Fehlen eines Betreuers oder Bevollmächtigten angenommen wird.
– Ohnehin problemträchtig erscheint der Bereich der Ermittlung eines mutmaßlichen Willens. Sicher hat sich der Gesetzgeber auch hierbei für die Ermittlung eines individuellen Willens entschieden. Da – wie es in der Entwurfsbegründung heißt – bei nicht mehr möglicher Ermittlung "entsprechend dem Wohl des Betreuten zu entscheiden und dabei dem Schutz seines Lebens Vorrang einzuräumen" ist, kommt ein Rückgriff auf allgemeine Wertvorstellungen i.S.d. "Kempten"-Urteils nicht mehr in Betracht. Es verbleibt die Sorge, ob nicht doch der mutmaßliche Wille "leicht zur Fiktion und zum praktischen Instrumentarium" wird, "diejenige Entscheidung als dem mutmaßlichen Willen entsprechend und damit als vom hochrangigen Selbstbestimmungsrecht legitimiert darzustellen, die dem Handelnden die genehmste ist".
– Erscheinen daher verfahrensmäßige Sicherungen besonders wichtig, fällt auf, dass der Gesetzgeber die bereits vom BGH in seinem Grundsatzbeschluss vom 17. März 2003 eingeleitete Zurücknahme der früher vormundschaftsrichterlichen und heute betreuungsrichterlichen Kontrolle nicht nur voll übernimmt, sondern – dies ist die Konsequenz der fehlenden Reichweitenbeschränkung – sie auch jenseits der Fälle eines irreversibel verlaufenden Grundleidens, also etwa in den "Wachkomafällen", für angemessen erachtet. Zum einen – so die Entwurfsbegründung – sichere das erforderliche Einvernehmen zwischen Betreuer oder Bevollmächtigtem und Arzt eine "wechselseitige Kontrolle bei der Entscheidungsfindung". Zum anderen entbehre "ein generalisierender Missbrauchsverdacht gegen den behandelnden Arzt und Betreuer jeder Grundlage", und schließlich könne – wie bereits oben erwähnt – "jeder Dritte" eine gerichtliche Kontrolle in Gang setzen. – Nochmals: Wer erfährt wann und wie von der Missbrauchsgefahr?