Gesetzgebung dient – hoffentlich! – der Durchsetzung von Gerechtigkeitsvorstellungen. Hinter diesen verbergen sich aber allzu oft handgreifliche Interessen. Ein Zusammenhang, der deutlich wird bei näherer Betrachtung der Neuregelung des Rechts der Patientenverfügung durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts, welches nach zähem und langem Ringen am 1. September 2009 in Kraft getreten ist. Aber, vom politischen Spektakel einmal abgesehen: Wer rang eigentlich mit wem und worüber?
Ausgangspunkt waren etwa zeitgleich die Sorgen von Patienten, Ärzten und Angehörigen in prekären Behandlungssituationen. Als Kehrseite des medizinischen Fortschritts befürchteten Patienten die Anwendung einer Apparatemedizin auch dann, wenn es wenig noch zu behandeln gibt, allenfalls etwas zu lindern, sie selbst sich aber nicht mehr würden artikulieren können. Nämlich bei unweigerlich zum Tode führenden Krankheiten, aber auch bei stabilem, aber nur schwerlich zu vollem Bewusstsein zurückführendem Zustand (Stichwort "Wachkomafälle"). Ärzte und Pflegepersonal fürchteten bei Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen in derartigen Situationen den Staatsanwalt. Denn ob und inwieweit sie gem. den Grundlagen des sog. "Kempten-Urteils" des 1. Strafsenats des BGH noch gerechtfertigt gehandelt oder sich strafbar gemacht hatten, würde sich oft erst im Nachhinein herausstellen. Andere Professionelle – nämlich Vormundschaftsrichter und auch zivilrechtliche Betreuer – wollten nicht "auf Leben und Tod" entscheiden und wehrten sich gegen eine – von der Gefährdungssituation her keinesfalls so fernliegende und vom "Kempten-Urteil" befürwortete – analoge Anwendung des § 1904 Abs. 2 BGB a.F., mithin dem Erfordernis der Einwilligung eines Betreuers in gefährdende Heileingriffe durch das Vormundschaftsgericht. Die Angehörigen der Patienten fürchteten um ihren Einfluss, haben sie doch – entgegen immer noch verbreitetem Rechtsgefühl – eigentlich am Krankenbett überhaupt nichts zu bestimmen. Krankenkassen befürchteten Kosten, andere Patienten wiederum, aus Kostengründen frühzeitig "abgeschrieben" zu werden.
Mit Grundsatzbeschluss vom 17. März 2003 hatte der für das Betreuungsrecht zuständige XII. Zivilsenat des BGH zwar einerseits eine analoge Anwendung des § 1904 BGB verworfen. Andererseits hatte der BGH aber doch "aus einem unabweisbaren Bedürfnis des Betreuungsrechts" eine Rechtsfortbildung vorgenommen und ein vormundschaftsgerichtliches Genehmigungsverfahren bei Dissens zwischen Betreuer und Arzt über die Ermittlung des Patientenwillens ermöglicht, dieses allerdings auf die Situation des Abbruchs lebensverlängernder Maßnahmen bei irreversibel tödlichem Krankheitsverlauf beschränkt. Und auch sonst waren viele Fragen offen geblieben einschließlich derjenigen, was bei Nichtfeststellbarkeit eines aktuellen oder wenigstens mutmaßlichen Patientenwillens gelten sollte. Das "Kempten-Urteil" des BGH hatte aus strafrechtlicher Perspektive einen Rückgriff auf "allgemeine" Wertvorstellungen für zulässig erachtet, was Euthanasie-Ängste heraufbeschwören konnte.
In dieser Situation erschien die Patientenverfügung als Schlüssel zur allseitigen Problemlösung. Denn wer – wenn nicht der Patient selbst – sollte am besten sein körperliches Wohl bestimmen können? Täte er dies vor Eintritt in den Zustand der Handlungsunfähigkeit, aber mit Wirkung für diesen, wäre anderen die Verantwortung abgenommen und zugleich "Patientenautonomie" gewahrt. Kaum zu übersehen ist allerdings die Schwäche dieser Konzeption. Der Patient ist nämlich bei Eintritt des Handlungsbedarfs kein echter, sondern nur noch ein früherer Mitspieler, er ist der Schwächste im Diskurs über seine Zukunft. Deswegen rankte die Diskussion um eine gesetzliche Neuregelung schnell um die Kompensation dieses Defizits, also um die Frage, wie viel Mündigkeit einem Patienten bei der Fixierung seines Behandlungswillens für eine von ihm nur schwer abschätzbare Situation zugetraut werden sollte und welche Verfahrensmechanismen zu seinem Schutz vorgesehen werden müssten.