Ingeborg Rakete-Dombek
Der Presse ist zu entnehmen (FAZ vom 20.1.2010), dass in England das, was früher Hochzeitslisten waren, jetzt auch als Scheidungslisten in den Kaufhäusern geführt wird. Gleichzeitig scheint es einen Anlass zum Feiern der Scheidung zu geben. Man macht also seinen Scheidungstermin am besten schon im Vorhinein bekannt, gibt bei Debenhams seine Scheidungsgeschenkliste ab und freut sich auf die Präsente. Man kann auch um Barspenden auf der "Divorce Gift List" bitten. Dazu passen Scheidungsmandanten – ob weiblich oder männlich – die sich nach dem Scheidungstermin vor dem Saal von ihrem neuen Lebenspartner in Empfang nehmen lassen. Dieser hat eine Flasche Champagner – in Berlin eher Rotkäppchensekt – mit Gläsern oder Pappbechern dabei und benimmt sich gleich auf dem Gerichtsflur wie Michael Schumacher nach dem Autorennen: Flasche schütteln, Getränk zum Schäumen bringen, damit herumspritzen und laut johlen, kurzum: Der Freude über das Scheitern der Ehe wird ungezügelt Ausdruck verliehen. "Glückwunsch zur Scheidung" heißt die vorgedruckte Karte, die man im Papierhandel erwerben und anlässlich der privaten Kapitulation an Freunde versenden kann.
Heute muss ein Familienanwalt seinem Mandanten vor der Sitzung vorsichtig beibringen, dass die Basecap im Gerichtssaal besser abgenommen werden sollte und auch das stoische Kauen eines Kaugummis unangebracht ist. Coffee to go ist auch toll. Manche wollen ihren Kaffeepappbecher vor sich auf den Tisch im Saal stellen und weiter daraus schlürfen. Gesundheitsbewusste, die glauben, sie würden unvermittelt schweren gesundheitlichen Schaden nehmen, wenn sie nicht alle fünf Minuten aus ihrer Plastikflasche edles Wasser trinken, haben diese vorsorglich in der Hand. Kaum einer ohne seine "Nuckelflasche".
Unser Kammergericht hat am 24.8.2009 – 3 Ws 368/09 – Folgendes entschieden: "Das demonstrative Sitzenbleiben bei der Verkündung der Urteilsformel kann ein ungebührliches Verhalten darstellen, insbesondere wenn dies trotz mehrfacher Aufforderung des Vorsitzenden in der Absicht geschieht, das Gericht zu provozieren. Daran ändert auch die Äußerung des Angeklagten, sein Verhalten habe nichts mit Respektlosigkeit zu tun, nichts." In Strafsachen scheint es also noch strenge Bemühungen gegen ein "ungebührliches Verhalten" zu geben.
Ob dies auch im Familienrecht gilt? Jetzt gibt es nämlich nur noch Beschlüsse (§ 38 FamFG). Vielleicht ist es deshalb zukünftig auch nicht so schlimm, wenn man seinen Kaffee oder sein Wasser in den Gerichtssaal mitbringt, dort die Mütze aufbehält und gleichzeitig Kaugummi kaut. Sitzenbleiben kann man bei Beschlüssen sowieso, sollten sie in der Sitzung verlesen werden (§ 41 Abs. 2 S. 1 FamFG). Robe an, oder nicht? Fragen über Fragen!
Ob Beschlüsse vielleicht doch "im Namen des Volkes" (dafür: Musielak/Borth, § 40 Rn 2; Kranz, FamRZ 2010, 85, 86, dagegen: Prütting/Helms, § 38 Rn 4; Keidel/Meyer-Holz, § 38 Rn 41) "anständig" zu verkünden sind, und zwar unter vorheriger Herstellung der Öffentlichkeit in einem Verfahren, das heute nahezu ein Geheimverfahren ist, (§ 170 Abs. 1 und 2 GVG), ist umstritten (für Verlesung in einem öffentlichen Termin: Thomas/Putzo/Hüßtege, § 41 FamFG Rn 4; a.A.: Keidel/Meyer-Holz, § 41 Rn 13: Bekanntgabe durch Verkündung.). Da sind wir aber sehr gespannt, wie dieser Streit ausgeht.
Leider endet die Macht des Gerichts sowieso meistens vor dem Saal, so dass mit diesem elenden Sektgespritze auch zukünftig (zunehmend?) zu rechnen ist. Und jetzt will ich niemanden hören, der sagt: "Ja, in Berlin …" und damit zum Ausdruck bringen will, bei ihm und in seiner Gegend gebe es noch eine heile und würdige Gerichtswelt. Die Erfahrung lehrt, dass das, was als Erstes in Berlin passiert, bald die gesamte Republik ergreift. Übrigens: Scheidungslisten habe ich im KaDeWe noch nicht wahrgenommen, aber ich kann ja mal gezielt nachfragen.