Schon vor Jahren hatte sich das BVerfG dagegen ausgesprochen, den durch Wiederverheiratung entstehenden Steuervorteil als in der früheren Ehe "angelegt" – und damit als prägend – anzusehen. Auch wenn in den letzten Jahrzehnten die Scheidungsrate und damit die Zahl der Wiederverheiratungen zugenommen habe, sei es – schon wegen der eine Ehe auszeichnenden Dauerhaftigkeit – unzulässig anzunehmen, mit einer eingegangenen Ehe sei sogleich deren mögliches Scheitern sowie eine darauf folgende neue Ehe mitgedacht mit der Folge einer Prägung der Einkommensverhältnisse. Deshalb wurde der einkommenserhöhende Steuervorteil aus dem Ehegattensplitting der neuen Ehe vorbehalten, Surrogat der früheren Ehe war damit nur der Realsplittingvorteil. Auf der Grundlage der "Wandelbarkeit" war es dann konsequent, dass der BGH die den Steuervorteil der neuen Ehe zuordnende Rechtsprechung sowohl für gleich- als auch für nachrangige Unterhaltsansprüche aufgegeben und den Bedarf nach dem sich unter Berücksichtigung des Splittingvorteils ergebenden Einkommen berechnet hat.
Wenn – wie jetzt feststeht – die in der neuen Ehe entstehende Unterhaltspflicht gegenüber der Ehefrau nicht bedarfsprägend ist, dann wäre es schon aus diesem Grunde eigentlich inkonsequent, den Steuervorteil durch Wiederheirat als bedarfsprägend anzusehen.
Auch vor dem Hintergrund des Wunsches nach einer stärkeren Vereinfachung des Unterhaltsrechts könnte es sich anbieten, gleichwohl auf die tatsächlichen Verhältnisse auch in steuerlicher Hinsicht abzustellen. Immerhin entspricht die tatsächliche Steuerklasse nach Wiederverheiratung derjenigen der früheren Ehe, während das (vorübergehende) Absinken der Leistungsfähigkeit als Folge der Steuerklasse I einen trennungsbedingten Umstand darstellt. Einer etwaigen erhöhten Schutzbedürftigkeit des neuen Ehegatten wird ja ohnehin schon im Rahmen der Rangregelung des § 1609 BGB Rechnung getragen. Die Berechtigung der Argumentation, der Splittingvorteil aus der neuen Ehe dürfe wegen der wechselseitigen Beeinflussung des Bedarfs mehrerer Ehegatten nicht allein der neuen Ehe zugutekommen, ist jedenfalls aufgrund des Wegfalls der Dreiteilungsmethode als Folge der Entscheidung des BVerfG entfallen. Bei Fortsetzung der Ehe wäre es bei Steuerklasse III geblieben, ein scheidungsbedingter Umstand liegt keinesfalls vor. Für Kinder- und Ehegattenunterhalt wäre eine einheitliche Bemessungsgrundlage gegeben, denn beim Verwandtenunterhalt sind immer die tatsächlichen Einkünfte maßgeblich. Schließlich passt die Berücksichtigung der tatsächlichen steuerlichen Situation auf Seiten des Schuldners systematisch auch zu der Berücksichtigung von Surrogat-Einkommen aus Versorgungsleistungen auf Seiten der unterhaltsbedürftigen geschiedenen Ehefrau; denn von "angelegt sein" dieser Versorgung kann dort ebenso wenig die Rede sein, wie man auf Seiten des Schuldners nach Scheidung eine anschließende Wiederverheiratung unterstellen könnte. Die frühere Entscheidung des BVerfG steht nicht entgegen, weil dort in der Begründung das Wort "Bedarf" überhaupt nicht auftaucht und das in der aktuellen Entscheidung genannte Kriterium der Ehefeindlichkeit (Rn 70) zweifelsfrei nicht erfüllt ist, wenn der Schuldner die gleiche Steuerklasse hat wie während der ersten Ehe.