1. Konformität mit Art. 6 EMRK
§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG ist konform zu Art. 6 EMRK auszulegen. Seine Anwendung steht auch unter diesem Gesichtspunkt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, wobei die Rechtsprechung des EGMR zu beachten ist. Hiernach sei eine mündliche Verhandlung entbehrlich, wenn es
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"nur um die Zulassung des Rechtsmittels geht" oder "nur eine rechtliche Überprüfung möglich ist". |
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Bei Tatsachenentscheidungen, wenn ohne eigene Tatsachenermittlung nach Aktenlage entschieden werden kann, es sei denn, der Fall ist "schwierig", die "tatsächlichen Fragen nicht einfach" und sie haben "erhebliche Bedeutung". |
2. Zusätzliche Anforderungen
Erforderlich ist eine Dokumentation des Familiengerichts, die dem Beschwerdegericht die gewonnenen Erkenntnisse vermittelt. Werde von einer mündlichen Verhandlung abgesehen, ist dies zu begründen. Keine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, wenn von der I. Instanz zum Nachteil des Betroffenen abgewichen werden soll oder wenn wesentliche neue Tatsachen vorgetragen werden. Absehen von einer Wiederholung der mündlichen Verhandlung nur, wenn "wirklich nichts Neues und Entscheidungserhebliches zu erwarten ist". Wegen des Anspruchs auf rechtliches Gehör sollte von der Vorschrift nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden. Wegen der Tragweite der Beschwerdeentscheidung keine Entscheidung durch Proberichter, die allerdings bei den Familiensenaten auch nicht eingesetzt werden. Auf die mündliche Verhandlung, eine Anhörung und sonstige Verfahrenshandlungen kann grundsätzlich nicht verzichtet werden, wenn neue entscheidungserhebliche Tatsachen vorgetragen werden, eine Änderung der Sachlage eingetreten ist oder es auf den persönlichen Eindruck ankommt, den ein Beteiligter vermittelt, wenn zum Nachteil des Betroffenen vom Ergebnis der I. Instanz abgewichen werden soll. "Keine zusätzlichen Erkenntnisse" mögen sich sehr weit fassen lassen, weshalb "wirklich nichts Neues" zu erwarten sein muss, etwas Neues aber auch entscheidungserheblich sein muss.
3. Anwendung von § 522 Abs. 2 ZPO
In Ehe- und Familienstreitsachen steht es den Gerichten nach Büte frei, von der Möglichkeit der mündlichen Verhandlung unter den Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO Gebrauch zu machen, wobei der 17. Familiensenat des OLG Celle § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG anwendet.
Diese Auffassung wird von Walter – entgegen einem Zitat von Büte abgelehnt, weil eine gesetzliche Verweisung fehlt, ebenso von Griesche. Auch Vossler verweist darauf, dass nur § 522 ZPO zwingend, § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG aber eine Ermessensvorschrift ist.
Borth sieht nunmehr in § 522 Abs. 2 ZPO einen allgemeinen Grundsatz, dass dem unterliegenden Rechtsmittelführer in einer mündlichen Verhandlung die Gründe seines Unterliegens dargelegt werden sollen.
4. Kritische Stimmen
§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG gefährdet deutlich die materielle Gerechtigkeit. Mit der Vorschrift geht ein weiteres Stück Rechtskultur unwiederbringlich verloren. Der dem Gericht eingeräumte Gestaltungsspielraum ist auffallend weit, die Regelung zu undifferenziert.