Ein Editorial zur Klärung von Begriffen?
Klaus Schnitzler
Warum nicht, wenn es nicht nur dem Autor, sondern im besten Fall auch dem Leser neue Informationen vermitteln kann.
Kindeswohlgefährdung ist spätestens seit dem Staufener Missbrauchsfall und den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen (Stichworte Lügte und Bergisch-Gladbach) in aller Munde.
Primäre Kindeswohlgefährdung betrifft das Handeln (oder Nichthandeln) von Eltern in gelebten Beziehungen mit dem Kind, durch die Lebensbedingungen für das Kind geschaffen werden, die im Widerspruch zu den Bedürfnissen des Kindes stehen und seine Persönlichkeitsentwicklung gefährden.
Nicht nur in den Kinderschutzverfahren, sondern auch in "normalen" Kindschaftsverfahren steht häufig die Entziehung der elterlichen Sorge und die Fremdunterbringung als möglicher Ausweg aus der Gefährdungssituation der Kinder zur Diskussion. Die Abwägung unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört zu dem schwierigsten, was Familienrichter leisten müssen. Umso mehr ist von Bedeutung, auf welche Institutionen bzw. Personen sich die Gerichte in diesen Fällen stützen können. Insofern sind die Jugendämter, Verfahrensbeistände (früher Anwalt des Kindes) und Sachverständige im Fokus.
Sekundäre Kindeswohlgefährdung entsteht durch Fehlreaktionen auf tatsächliche oder scheinbare primäre Kindeswohlgefährdungen (Dettenborn, FPR 2003, 293, 295 ff.).
Die Jugendämter sind die Anlaufstation für die Eltern, aber auch für die Gerichte, einen umfassenden Eindruck von der Familie mitgeteilt zu bekommen. Leider gerieren sich viele Jugendamtsmitarbeiter als Minisachverständige – als Entscheider –, ohne hierzu auch nur ansatzweise qualifiziert zu sein. Das hat Auswirkungen auf das Vertrauen in den Rechtsstaat, vor allem wenn Machtpositionen ausgenutzt werden.
In vielen Gerichten wird es als ausreichend erachtet, dass ein Anwalt oder eine Anwältin als Verfahrensbeistand herangezogen wird. Gut wäre es, wenn es sich um einen Spezialisten handeln würde, am besten einen Fachanwalt für Familienrecht. Dies ist aber nur selten der Fall. Eine spezielle Qualifikation wird bei der Auswahl von Verfahrensbeiständen im Regelfall nicht verlangt.
Sofern der Verfahrensbeistand vom Gericht bestellt ist, ist diese Entscheidung so gut wie nicht mehr zu korrigieren, selbst dann nicht, wenn er mangelhafte Berichte liefert oder die Berichte lediglich eine Wiederholung der Stellungnahme des Jugendamtes oder des Sachverständigen beinhalten, ohne auf die Wünsche des Kindes auch nur ansatzweise einzugehen.
Die Neuregelung des Sachverständigenrechts 2015 ermöglicht zwar die Beteiligung der Anwälte an der Auswahl von Psychologen, aber auch dies führt nicht unbedingt zu einer größeren Qualität der Sachverständigen.
Insofern bleibt die Entscheidung beim Familiengericht, das sich aber nicht zu sehr auf diese Hilfspersonen verlassen sollte.
Im Einzelnen hat sich Prof. Dr. Rüdiger Ernst, Vors. Richter am KG, bei der Herbsttagung 2019 in Warnemünde mit dieser Problematik beschäftigt. Sein Vortrag wird sich in einem der nächsten Hefte zum Nachlesen finden.
Autor: Klaus Schnitzler
Klaus Schnitzler, Fachanwalt für Familienrecht, Euskirchen
FF 4/2020, S. 133