a) Entwicklung in der Rechtsprechung des BGH
Zu unterscheiden ist die Anfangsphase ab 2004 von der Zeit ab 2008, in der dem subjektiven Element vom BGH erheblich mehr Gewicht beigemessen wird.
aa) Rechtsprechung 2004 – 2008
In den ersten Jahren seit Beginn der "Kernbereichs-Rechtsprechung" des BGH stand die Analyse des objektiven Vertragsinhalts im Vordergrund. Zwecke und Beweggründe wurden lediglich ergänzend (wenn überhaupt) berücksichtigt.
bb) Rechtsprechung ab 2008
Bei der Untersuchung einschlägiger Entscheidungen ist eine Veränderung dahin festzustellen, dass dem subjektiven Element nunmehr erheblich mehr Gewicht beigemessen wird, was insgesamt zu einer großzügigeren Beurteilung im Rahmen der Prüfung der Sittenwidrigkeit führt, weil ein objektiv nachteiliger Vertragsinhalt nicht reicht. Nunmehr ist – neben der Prüfung des objektiven Vertragsinhalts – zusätzlich eine Gesamtwürdigung vorzunehmen. Nach Vorgabe des BGH ist zu prüfen, "ob der Vertrag eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehegatten widerspiegelt. In solchen Fällen gestörter Vertragsparität ist dem Ehevertrag die Wirksamkeit zu versagen“."
Das wird als Beginn einer "neuen Disparitätslehre" angesehen.
Noch deutlicher wird das in einer Entscheidung des BGH vom 31.10.2012, der die Heirat einer Krankenschwester mit einem Juristen und späterem Ministerialrat zugrunde lag. Leitsatz 1 dieser Entscheidung lautet:
Zitat
"Ein Ehevertrag kann sich in einer Gesamtwürdigung nur dann als sittenwidrig und daher als insgesamt nichtig erweisen, wenn konkrete Feststellungen zu einer unterlegenen Verhandlungsposition des benachteiligten Ehegatten getroffen worden sind. Allein aus der Unausgewogenheit des Vertragsinhalts ergibt sich die Sittenwidrigkeit des gesamten Ehevertrags regelmäßig noch nicht."
Auch in späteren Entscheidungen wird ausgeführt, dass
Zitat
"das Verdikt der Sittenwidrigkeit in der Regel nicht gerechtfertigt ist, wenn außerhalb der Vertragsurkunde keine verstärkenden Umstände zu erkennen sind, die auf eine subjektive Imparität, insbesondere infolge der Ausnutzung einer Zwangslage, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder intellektueller Unterlegenheit, hindeuten könnten."
cc) Ergebnis
In der ersten Phase (bis 2008) wurden alle Gesichtspunkte im Rahmen einer Gesamtschau untersucht. Seit 2008 ist der BGH zu einer zweistufigen Überprüfung übergegangen:
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im ersten Schritt wird überprüft, ob in objektiver Hinsicht eine evident einseitige, sachlich nicht gerechtfertigte Lastenverteilung vorliegt; |
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im zweiten Schritt wird dann zusätzlich eine Gesamtwürdigung vorgenommen; dort wird geprüft, ob ein verstärkendes subjektives Element vorliegt. |
Der BGH lehnt ausdrücklich eine Vermutungswirkung in der Form ab, dass von einem objektiv einseitigen Vertrag auf das Vorliegen eines subjektiven Elementes geschlossen werden könnte.
Das bedeutet im Ergebnis, dass man zu einer Sittenwidrigkeit nur noch in "ganz miesen Fällen" kommt, z.B. dann, wenn die Vertragspartner fest einplanen, dass sich die Ehefrau bei Geburt eines Kindes aus dem Erwerbsleben zurückziehen soll, der Vertragsinhalt aber gleichwohl evident einseitig ist.
dd) Neuere Entscheidungen
Diese Linie setzt sich auch in neueren Entscheidungen fort. In der Entscheidung vom 15.3.2017 ("Unternehmer", s.o. unter C. I. 3) kamen zahlreiche subjektive Elemente zusammen (keine Einbindung der Ehefrau in die Verhandlungen; kein Vertragsentwurf; Umwandlung der Firma als wesentlicher Gegenstand der Beurkundung; Säugling auf dem Schoss). Der BGH kommt hier zu der Feststellung, dass die soziale und wirtschaftliche Abhängigkeit der Ehefrau ausgenutzt worden sei. Im Hinblick auf die mögliche Argumentation der Ehemänner, die Ehefrau habe doch spätestens im Notartermin "den Mund aufmachen" und Erläuterungen verlangen können, ist die Feststellung des BGH wichtig, dass im Rahmen des § 138 S. 1 BGB "auch und gerade der Ehegatte geschützt" werden müsse, "der dem Verlangen des überlegenen Ehegatten widerstandslos Folge leistet".
Auch in der Entscheidung vom 17.1.2018 ("Bosnische Verkäuferin", s.o. unter C. I. 4) erkennt der BGH mehrere Faktoren für eine vertragliche Disparität. Der Ehemann war der Ehefrau sozial und ökonomisch überlegen; die Ehefrau verfügte nur über geringe Einkünfte sowie einen ungesicherten Aufenthaltsstatus und hatte Sprachprobleme. Sie sei auf die Heirat angewiesen, der BGH betont hier ausdrücklich eine "ausländerrechtliche Komponente".