Eine Betrachtung dieser Entscheidungen macht deutlich, dass es nicht so sehr auf das "Ranking" der durch die vertragliche Regelung betroffenen Scheidungsfolgen ankommt, sondern im Wesentlichen auf die Auswirkungen, die subjektive Seite und die Gesamtbetrachtung.
1. Objektiver Vertragsinhalt
a) Stellenwert
Zunächst ist regelmäßig zu untersuchen, auf welcher Stufe im "Ranking" (s.o. unter B. II.) die gesetzlichen Scheidungsfolgen durch die vertragliche Regelung betroffen sind. Als Grundsatz ist festzuhalten: Je höher der gesetzliche Rang der Scheidungsfolge ist, desto enger sind die Möglichkeiten der vertraglichen Abänderung.
b) Auswirkungen
Daraus folgt allerdings kein Automatismus. Die untersuchten Entscheidungen zeigen z.B. beim Versorgungsausgleich auf, dass einschränkende Regelungen – trotz Zugehörigkeit des Versorgungsausgleichs zum "Kernbereich" – nicht zu beanstanden sind, wenn ein Ausschluss der belasteten Vertragspartei nicht schadet oder sie sogar begünstigt. Das kann der Fall sein, wenn die Ehefrau – nicht selten dann, wenn der Ehemann Unternehmer ist – über höhere Anwartschaften verfügt als er oder bei ihm überhaupt keine ausgleichspflichtigen Anwartschaften zu erwarten sind, weil er seine Altersversorgung über Unternehmensbeteiligung oder Kapitallebensversicherungen sichergestellt hat.
c) Kompensation
Auf den ersten Blick ist überraschend, dass – sogar bei einer Alleinverdienerehe – vom BGH der vollständige Ausschluss des Versorgungsausgleichs trotz Zugehörigkeit zum "Kernbereich" nicht beanstandet wird. Erklärlich wird das erst, wenn man sich die der Ehefrau gewährten Kompensationsleistungen ansieht: Finanzierung einer privaten Kapitalversicherung; Übertragung einer Immobilie.
2. Subjektives Element
a) Entwicklung in der Rechtsprechung des BGH
Zu unterscheiden ist die Anfangsphase ab 2004 von der Zeit ab 2008, in der dem subjektiven Element vom BGH erheblich mehr Gewicht beigemessen wird.
aa) Rechtsprechung 2004 – 2008
In den ersten Jahren seit Beginn der "Kernbereichs-Rechtsprechung" des BGH stand die Analyse des objektiven Vertragsinhalts im Vordergrund. Zwecke und Beweggründe wurden lediglich ergänzend (wenn überhaupt) berücksichtigt.
bb) Rechtsprechung ab 2008
Bei der Untersuchung einschlägiger Entscheidungen ist eine Veränderung dahin festzustellen, dass dem subjektiven Element nunmehr erheblich mehr Gewicht beigemessen wird, was insgesamt zu einer großzügigeren Beurteilung im Rahmen der Prüfung der Sittenwidrigkeit führt, weil ein objektiv nachteiliger Vertragsinhalt nicht reicht. Nunmehr ist – neben der Prüfung des objektiven Vertragsinhalts – zusätzlich eine Gesamtwürdigung vorzunehmen. Nach Vorgabe des BGH ist zu prüfen, "ob der Vertrag eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehegatten widerspiegelt. In solchen Fällen gestörter Vertragsparität ist dem Ehevertrag die Wirksamkeit zu versagen“."
Das wird als Beginn einer "neuen Disparitätslehre" angesehen.
Noch deutlicher wird das in einer Entscheidung des BGH vom 31.10.2012, der die Heirat einer Krankenschwester mit einem Juristen und späterem Ministerialrat zugrunde lag. Leitsatz 1 dieser Entscheidung lautet:
Zitat
"Ein Ehevertrag kann sich in einer Gesamtwürdigung nur dann als sittenwidrig und daher als insgesamt nichtig erweisen, wenn konkrete Feststellungen zu einer unterlegenen Verhandlungsposition des benachteiligten Ehegatten getroffen worden sind. Allein aus der Unausgewogenheit des Vertragsinhalts ergibt sich die Sittenwidrigkeit des gesamten Ehevertrags regelmäßig noch nicht."
Auch in späteren Entscheidungen wird ausgeführt, dass
Zitat
"das Verdikt der Sittenwidrigkeit in der Regel nicht gerechtfertigt ist, wenn außerhalb der Vertragsurkunde keine verstärkenden Umstände zu erkennen sind, die auf eine subjektive Imparität, insbesondere infolge der Ausnutzung einer Zwangslage, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder intellektueller Unterlegenheit, hindeuten könnten."
cc) Ergebnis
In der ersten Phase (bis 2008) wurden alle Gesichtspunkte im Rahmen einer Gesamtschau untersucht. Seit 2008 ist der BGH zu einer zweistufigen Überprüfung übergegangen:
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im ersten Schritt wird überprüft, ob in objektiver Hinsicht eine evident einseitige, sachlich nicht gerechtfertigte Lastenverteilung vorliegt; |
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im zweiten Schritt wird dann zusätzlich eine Gesamtwürdigung vorgenommen; dort wird geprüft, ob ein verstärkendes subjektives Element vorliegt. |
Der BGH lehnt ausdrücklich eine Vermutungswirkung in der Form ab, dass von einem objektiv einseitigen Vertrag auf das Vorliegen eines subjektiven Elementes geschlossen werden könnte.
Das bedeutet im Ergebnis, dass man zu einer Sittenwidrigkeit nur noch in "ganz miesen Fällen" kommt, z.B. dann, w...