Die vom BGH entwickelte sogenannte "Kernbereichslehre" enthält eine Abstufungs-Skala hinsichtlich der Möglichkeiten einer vertraglichen Abänderung von gesetzlichen Scheidungsfolgen. Bei diesem "Ranking" ist wie folgt zu unterscheiden:
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Nur sehr geringe Dispositionsmöglichkeiten bestehen beim Unterhalt wegen Kindesbetreuung (§ 1570 BGB) sowie beim Alters- und Krankheitsunterhalt (§§ 1571, 1572 BGB) und beim Versorgungsausgleich. |
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Schon eher disponibel ist der Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit (§ 1573 Abs. 1, 2 BGB), denn das Risiko kann auf den Berechtigten verlagert werden. |
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Am ehesten verzichtbar sind Krankenvorsorge- und Altersvorsorgeunterhalt (§ 1578 Abs. 2, 3 BGB) sowie Ausbildungs- (§ 1575 BGB) und Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB). |
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Am weitesten entfernt vom "Kernbereich" ist der Zugewinnausgleich mit der Folge, dass sein Ausschluss am ehesten disponibel ist, und zwar selbst dann, wenn dadurch eine Lücke in der Altersversorgung bleibt. |
Als "Faustregel" kann man festhalten: Je höher der gesetzliche Rang der Scheidungsfolge ist, desto enger sind die Möglichkeiten der vertraglichen Abänderung. Diese unterliegen bei einer Überprüfung im Rahmen des § 138 BGB zunächst einer Wirksamkeitskontrolle (dazu unter 1) sowie der Prüfung eines subjektiven Elementes (dazu unter 2), schließlich nach § 242 BGB einer Ausübungskontrolle (dazu unter 3).
1. Wirksamkeitskontrolle (§ 138 BGB)
Hier wird – aus der Sicht zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses – eine Überprüfung in zweifacher Hinsicht vorgenommen:
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in objektiver Hinsicht wird geprüft, ob der Vertrag als evident einseitige Lastenverteilung zum Nachteil einer Vertragspartei anzusehen ist; |
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in subjektiver Hinsicht wird untersucht, ob dies als missbräuchliches Verhalten der Vertragspartei anzusehen ist, die durch den Vertrag begünstigt wird. |
Die vertraglichen Regelungen sind nicht nur nach einzelnen Bereichen, sondern in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Ein Verstoß gegen § 138 BGB wird nur angenommen, wenn Regelungen aus dem "Kernbereich" (ganz oder zu erheblichen Teilen) vertraglich abbedungen werden, ohne dass die dadurch eintretenden Nachteile durch Vorteile gemildert oder durch wichtige Belange des anderen oder durch besondere Umstände gerechtfertigt werden.
2. Subjektives Element
Seit einiger Zeit überprüft der BGH zunehmend die subjektive Seite im Zusammenhang mit Vertragsgestaltung, Vertragsinhalt und Vertragsabschluss.
Sofern – in objektiver Hinsicht – ein unausgewogener Vertragsinhalt vorliegt, kommt eine Unwirksamkeit regelmäßig nur dann in Betracht, wenn zusätzlich außerhalb der Urkunde verstärkende Umstände vorliegen, die auf ein subjektives Ungleichgewicht der Vertragsparteien hindeuten, was als "neue Imparitätslehre" bezeichnet wird.
Auch wenn ein unausgewogener Vertragsinhalt Indizwirkung entfaltet, muss zusätzlich eine einseitige Dominanz festgestellt werden, die ihrerseits auf einer ungleichen Verhandlungsposition beruht.
Eine in diesem Sinne verwerfliche Gesinnung des begünstigten Vertragspartners wird z.B. angenommen bei Ausnutzung einer Zwangslage, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder intellektueller Unterlegenheit.
Zu weiteren Einzelheiten s.u. unter C. II. 2.
3. Ausübungskontrolle (§ 242 BGB)
Sofern die vorstehend dargestellte Prüfung ergibt, dass gegen die Wirksamkeit des Vertrages nichts einzuwenden ist, muss in einem zweiten Schritt – jetzt für den Zeitpunkt der Geltendmachung der vertraglichen Rechte – untersucht werden, ob sich der begünstigte Ehegatte wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) auf die vertragliche Regelung nicht berufen kann. Wenn etwa die tatsächlich gelebten Lebensumstände deutlich von der ursprünglichen Planung abweichen, kann die vertragliche Regelung zu einer für den anderen Ehegatten unzumutbaren Belastung führen mit der Folge, dass das Vertrauen des begünstigten Ehegatten auf diese Regelung nicht (mehr) schutzwürdig ist. In der Praxis wird das besonders bei ehebedingten Nachteilen relevant.