Um weitere Beispiele[19] für eine Entpflichtung des Verfahrensbeistands zu finden, muss man schon weiter zurückgehen zu der Zeit, als noch § 50 FGG galt, also in die Zeit vor dem Inkrafttreten des FamFG im September 2009. Eine Aufhebung der Bestellung des damals noch als Verfahrenspfleger bezeichneten "Anwalt des Kindes" sollte danach in Betracht kommen,

wenn sich nachträglich herausstellt, dass der bestellte Verfahrenspfleger bereits zuvor, in anderer Verfahrensrolle, mit dem Fall befasst war und deshalb keine Gewähr für eine unabhängige Herangehensweise bestehen soll:[20] In Abhängigkeit von den konkreten Umständen des Einzelfalles wird man dem sicher zustimmen können, zumal es dem Kind in derartigen Konstellationen vielfach sehr schwerfallen wird, ein Vertrauensverhältnis zum Verfahrensbeistand aufzubauen.[21]
Eine Entpflichtung wurde weiter in Betracht gezogen, wenn im Verlauf des Verfahrens ernste, schwerwiegende Zweifel an Kompetenz und fachlicher Qualifikation des Verfahrenspflegers aufgekommen sind und eine ordnungsgemäße Wahrnehmung der kindlichen Interessen nicht mehr gewährleistet erschien.[22]
In der Literatur zu § 50 FGG wurde als zusätzlicher Grund für eine Entpflichtung genannt, dass der Verfahrenspfleger sich grob pflichtwidrig verhält und beispielsweise untätig bleibt, am Verfahren nicht mitwirkt und Anhörungsterminen unentschuldigt fernbleibt:[23] Diesen Gedanken hat der Gesetzgeber aufgegriffen und in den Materialien zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zu einem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder mit der Einzelbegründung zu § 158 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 FamFG klargestellt, dass die Bestellung des Verfahrensbeistandes u.a. dann aufzuheben ist, wenn er "nur ganz unzureichend oder sehr unzuverlässig tätig wird[24] oder seine Aufgaben in einer die Kindesinteressen offenkundig und erheblich verkennenden oder missachtenden Weise wahrnimmt".[25]
[19] Vgl. auch die Übersicht bei Menne, FF 2020, 276 (282).
[20] Vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 10.3.1999 – 8 WF 69/99, FamRZ 2000, 300 (zu § 50 FGG: Als Verfahrensbeiständin wurde dem Kind in einem Unterbringungsverfahren die Mitarbeiterin eines Jugendamtes bestellt, die die Familie früher bereits betreut hatte). Die Standards Verfahrensbeistandschaft des Berufsverbandes der Verfahrensbeistände, Ergänzungspfleger und Berufsvormünder für Kinder und Jugendliche e.V. von April 2022 sehen deshalb in Ziff. 2.3 vor, dass eine Verfahrensbeistandschaft bei möglichen Rollenkonflikten nicht übernommen werden soll (einsehbar auf der Homepage https://www.verfahrensbeistand-bag.de; zuletzt abgefragt im März 2024).
[21] Der rechtstatsächlichen Untersuchung von Dahm (ZKJ 2017, 341, 352) zufolge soll in der Praxis die Vorbefasstheit des Verfahrensbeistands mit der Sache der hauptsächliche Grund für eine Ablösung bilden.
[23] Vgl. Keidel/Kuntze/Winkler/Engelhardt, FGG (15. Aufl. 2003), § 50 Rn 43; Profitlich/Zivier, FPR 2006, 29 (31); Stötzel, JAmt 2009, 213 (216). Vgl. auch Holzer/Menne, FamFG (1. Aufl. 2011), § 158 Rn 120.
[24] Rechtsvergleichend ist darauf hinzuweisen, dass (beispielsweise) auch in Österreich eine Untätigkeit des Verfahrensbeistands als Grund angesehen wird, den dort Kinderbeistand genannten "Anwalt des Kindes" im laufenden Verfahren zu entlassen. § 104a Abs. 5 Satz 2 AußStrG – das österreichische Außerstreitgesetz – bestimmt, dass das Gericht "den Kinderbeistand entheben [kann], wenn dies das Wohl des Minderjährigen erfordert". Vgl. näher Menne, Kinderbeistand und Verfahrensbeistand – eine rechtsvergleichende Annäherung an ein innovatives Rechtsinstitut, in: Garber (Hrsg.), FS Neumayr Bd. II (2023), 1903 (1919 f.); Menne, ZKJ 2023, 357 (364 f.).
[25] Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zu einem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 27.10.2020, BT-Drucks. 19/23707 S. 53 und dazu Menne, NZFam 2020, 1033 (1038).

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