Der Aufsatz wurde erstmals abgedruckt in FF 2008, 399 ff.
I. Reformbedarf
Uns allen, die wir mit Familiensachen befasst sind, sind die Nachteile der bisher fehlenden Zuständigkeit der Familiengerichte für vermögensrechtliche Streitigkeiten von getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten, die nicht im Güterrecht, dem Recht der Hausratsverteilung oder der Wohnungszuweisung ihre Grundlage haben, aus der täglichen Praxis vertraut: Zivilprozessgerichte und Familiengerichte streiten darum, wer zuständig ist etwa für die Klage des aus dem Familienheim ausgezogenen Ehegatten auf eine Nutzungsvergütung oder für eine Schadensersatzforderung wegen Vereitelung des Umgangsrechts. Zivilrichter müssen bei einer auf Rückgewähr einer ehebezogenen Zuwendung gerichteten Klage entscheiden, ob nicht schon der – vorrangige – Zugewinnausgleich zu einem für den Kläger hinnehmbaren Ergebnis führt. Die Frage, wer im Innenverhältnis für eine Gesamtschuld aufkommen muss, ist sowohl in einem auf Schuldenausgleich gerichteten Zivilprozess als auch in einem parallel anhängigen Zugewinnausgleichsverfahren zu beantworten. Die Nachteile der gegenwärtigen Zuständigkeitszersplitterung lassen sich mit folgenden Schlagworten zusammenfassen: Probleme bei der Zuständigkeitsbestimmung, doppelte Behandlung desselben Streitstoffs, Gefahr divergierender Entscheidungen, problematische Ergebnisse infolge fehlender Kenntnisse der entscheidenden Zivilprozessgerichte im Familienrecht, Verhinderung verfahrensübergreifender Gesamtlösungen.
Doch dazu ist, wie Rakete-Dombek als Sachverständige in ihrer Stellungnahme zum Regierungsentwurf des FamFG gegenüber dem Rechtsausschuss des Bundestages treffend bemerkt, "bereits alles seit Jahren gesagt". Daran, dass die Schaffung des Großen Familiengerichts nötig und längst überfällig ist, besteht kein Zweifel.
Fest steht nun auch, dass das Große Familiengericht kommen wird. Der Bundestag hat am 27.6.2008 auf Vorschlag der Bundesregierung das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), in dem das Große Familiengericht vorgesehen ist, beschlossen (als Art. 1 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit [FGG-RG]). Das Gesetz hat inzwischen den Bundesrat passiert und wird am 1.9.2009 in Kraft treten.
II. Die neuen Zuständigkeiten des Familiengerichts
Das Gesetz sieht eine Erweiterung der Zuständigkeit der Familiengerichte, die bisher in § 23b Abs. 1 S. 2 GVG bzw. § 621 Abs. 1 ZPO abschließend geregelt ist, in verschiedenen Bereichen vor. Von der Zuständigkeitserweiterung sind nicht nur Streitigkeiten betroffen, die bisher vor den Zivilprozessgerichten zu verhandeln sind. Auch bisher von den Vormundschaftsgerichten bearbeitete Angelegenheiten wechseln zu einem erheblichen Teil zu den Familiengerichten. Welche Materien künftig Familiensachen sind und damit in die Zuständigkeit der Familiengerichte fallen, ist in § 111 FamFG geregelt. Danach gehen auf die Familiengerichte über:
Aus dem Zuständigkeitsbereich der Zivilprozessgerichte
- Streitigkeiten im zu oben I. skizzierten Sinne. Sie werden unter der Bezeichnung "sonstige Familiensachen" in den Katalog der Familiensachen aufgenommen (§ 111 Nr. 10 FamFG). Was im Einzelnen dazu zu zählen ist, wird in § 266 FamFG erläutert. Darauf wird noch näher einzugehen sein (unten III.).
- Gewaltschutzsachen (§§ 1, 2 GewSchG), soweit sie bisher in die Zuständigkeit der Zivilprozessgerichte fallen (§ 111 Nr. 6 i.V.m. § 210 FamFG). Das bedeutet eine begrüßenswerte Vereinfachung der Zuständigkeitsfrage: Alle Gewaltschutzsachen unterliegen künftig der Zuständigkeit der Familiengerichte. Es entfällt die bisherige Zuständigkeitsspaltung infolge der Einschränkung gem. § 23b Abs. 1 S. 2 Nr. 8a GVG bzw. § 621 Abs. 1 Nr. 13 ZPO, wonach die familiengerichtliche Zuständigkeit nur gegeben ist, wenn die Beteiligten einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führen oder innerhalb von sechs Monaten vor Antragstellung geführt haben (Gewalt im sozialen Nahbereich).
Aus dem Zuständigkeitsbereich der Vormundschaftsgerichte
- Verfahren betreffend die Vormundschaft oder Pflegschaft für Minderjährige (§ 111 Nr. 2 i.V.m. § 151 Nr. 4, 5 FamFG). Diese Verfahren werden künftig begrifflich den – neu definierten und erweiterten – Kindschaftssachen (§ 151 FamFG; bisher: § 640 Abs. 2 ZPO) zugeordnet, für die die Familiengerichte zuständig sind. Die Vormundschaftsgerichte werden abgeschafft; Materien aus deren bisherigem Zuständigkeitsbereich, die nicht auf die Familiengerichte ...