Anmerkungen aus der Sicht der gerichtlichen Praxis
Geht es um Aufenthalt und Umgang oder die Gefährdung eines Kindes, besteht grundsätzlich ein Eilbedürfnis – darüber sind sich alle am Verfahren beteiligten Professionen einig. § 155 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) schreibt insoweit konkret vor, dass diese Verfahren vorrangig und beschleunigt, das heißt gegebenenfalls auf Kosten anderer anhängiger Verfahren, durchzuführen sind und spätestens einen Monat nach Verfahrensbeginn terminiert werden sollen. Flankiert wird dieses Gebot durch die Einschränkung der Terminsverlegung, die nach § 155 Abs. 2 S. 4 FamFG nur aus "zwingenden Gründen" zulässig ist, und das wiederum sind nach der Gesetzesbegründung solche, die eine Teilnahme am Termin tatsächlich unmöglich machen. Dem Richter werden also "Beine gemacht". Bei dem einen oder anderen mag dies vielleicht ja auch erforderlich sein, aber für die weit überwiegende Zahl der Kollegen gilt das nicht: Auch ohne gesetzliches Beschleunigungsgebot rechnet kaum ein Familienrichter bei einer akut drohenden Gefahr für ein Kind erst einmal in Ruhe einen Versorgungsausgleich aus. Ganz überwiegend wird schon heute rasch terminiert. Die Gesetzesbegründung räumt dies auch freundlich ein, wenn dort ausgeführt wird, dass sich in der gerichtlichen Praxis Prioritäten noch deutlicher als bisher herausbilden werden.
Gelegentlich wird bezweifelt, ob bei einer so frühen Terminierung, wie in § 155 Abs. 2 S. 2 FamFG vorgesehen, bis zum Termin überhaupt hinreichend differenzierte Erkenntnisse über die Lebensverhältnisse und Beziehungen der Beteiligten und damit valide Grundlagen für eine rechtliche Beurteilung vorliegen. In Fällen einer Kindeswohlgefährdung ist dem Jugendamt die Familie jedoch zumeist bereits seit längerem bekannt. Es sind also eher zu viele als zu wenige Informationen vorhanden, so dass trotz der kurzen Zeitspanne bis zum Termin in der Regel durchaus ein Informationsstand erreicht werden kann, der eine – jedenfalls vorläufige – Entscheidung ermöglicht.
Hier kommt dem Jugendamt allerdings eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung des Termins zu: Ein schriftlicher Bericht bereits bei Anrufung des Familiengerichts ist unverzichtbar, auch wenn in der Begründung zu § 155 FamFG von einer nur mündlichen Stellungnahme des Jugendamts die Rede ist. Ein lediglich mündlich erstatteter Bericht im Termin selbst – der in Umgangs- und Sorgestreitigkeiten möglicherweise ausreichen mag – ist jedenfalls in Gefährdungsfällen unzureichend, da er regelmäßig zum vehementen Widerspruch der betroffenen Eltern oder auch des Kindes führen wird und eine geordnete Darstellung der Tatsachen dann in Rede und Gegenrede untergeht. Außerdem ist eine möglichst umfassende Information schon vor dem Termin für den Richter unentbehrlich, will er diesen effektiv vorbereiten. Hierzu gehört etwa auch die Hinzuziehung weiterer Personen, die zu einer Sachaufklärung beitragen können. Erhält der Richter erst im Termin Kenntnis hiervon, würde ein – im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot völlig kontraproduktiver – weiterer Termin erforderlich. Die Praxis tut im Hinblick auf die Gesetzesbegründung deshalb gut daran, dies jeweils vor Ort mit dem zuständigen Jugendamt zu klären.
Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot richtet sich an das jeweils mit der Sache befasste Gericht und damit an alle Rechtszüge. Es ist jedoch mit dem Rechtsmittelsystem nicht kompatibel: Die Beschwerde soll auch künftig begründet werden, wenn auch keine konkrete Begründungsfrist mehr vorgesehen ist (§§ 63, 65 FamFG). Diese Begründung ist unverzichtbar, denn der Richter der Beschwerdeinstanz muss die Einwände des Beschwerdeführers schon vor dem Termin kennen. Selbst wenn er aber für die Begründung der Beschwerde nach § 65 Abs. 2 FamFG eine knappe Frist setzt, ist die Monatsfrist in zweiter Instanz kaum zu wahren. Dies gilt im Übrigen erst recht nach derzeitiger Rechtslage: Zwar gilt seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls gem. § 50e FGG – gleichsam im Vorgriff auf das FamFG – das Vorrang- und Beschleunigungsgebot, andererseits beträgt die Frist zur Begründung einer befristeten Beschwerde gem. § 621e Abs. 3 ZPO i.V.m. § 520 Abs. 2 ZPO derzeit sogar zwei Monate.
Hinzu kommt, dass die Beschwerde künftig nur noch bei dem Gericht eingelegt werden kann, dessen Entscheidung angefochten wird (§ 64 FamFG). Es zieht sich also, bis das Beschwerdeverfahren beginnt. Auch wenn sich das Beschleunigungsgebot nicht nur an die Richter, sondern an die Justiz insgesamt richtet, so habe ich doch erhebliche Zweifel, ob die Justizwachtmeister die Akten demnächst tatsächlich "im Laufschritt" über den Karlsplatz in München vom Amts- zum Oberlandesgericht befördern.
Auch im Rahmen der Beweisaufnahme kann es zu erheblichen Verzögerungen kommen: § 30 Abs. 3 FamFG begründet die Verpflichtung zu einer förmlichen Beweisauf...