Zur Auslegung von § 1570 BGB
Einführung
Viele Stellungnahmen zum neuen Recht erwecken den Eindruck, das bisherige Altersphasenmodell müsse nur etwas (geringfügig?) angepasst werden, ansonsten bleibe alles beim Alten.
Umso auffälliger ist der Kontrast zu den Gesetzesmaterialien, dem Wortlaut von § 1570 BGB und den Vorgaben des BVerfG.
Bei diesem Konflikt zwischen "scheinbarem Naturrecht" auf Betreuung durch die Mutter und "positivem Recht" muss an den Satz von Gustav Radbruch erinnert werden: Das durch "Satzung und Macht gesicherte Recht ist dann gültig, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als “unrichtiges Recht’ der Gerechtigkeit zu weichen hat".
Damit ist zunächst das positive Recht zu ermitteln.
1. Auslegung § 1570 BGB
Viele Beiträge zum neuen Unterhaltsrecht übergehen die Gesetzesauslegung und stellen sogleich eine Wertung des Verfassers in den Vordergrund. Sinnvoll sei eine Betreuung bis zur zweiten Schulklasse u.v.m. Tatsächlich sollte sich der Jurist nicht leichtfertig über die Gesetzesauslegung hinwegsetzen, die grammatikalisch, historisch, systematisch und teleologisch geprägt ist.
– Grammatikalisch
§ 1570 Abs. 1 Satz 1 BGB regelt den Mindest(betreuungs-)unterhalt. Satz 2 und 3 stellen Verlängerungsmöglichkeiten aus Billigkeitserwägungen zu den Belangen des Kindes, Abs. 2 aus Billigkeitserwägungen zu den Belangen der Eheleute dar.
Beide Fallgruppen enthalten Ausnahmeregelungen zu Satz 1 und sind daher von demjenigen Elternteil darzulegen und notfalls zu beweisen, der sich hierauf beruft.
– Historisch
Vor dem Hintergrund fallender Eheschließungen und rückläufiger Geburten, vor dem Unterhaltsrecht des europäischen Auslands und der Tatsache, dass zumeist der Mann durch hohe, oft lebenslange Unterhaltszahlungen nicht in der Lage war, eine echte neue Familie aufzubauen, sollte die Eigenverantwortung der geschiedenen und Kinder betreuenden Ehefrau gestärkt werden. Umgekehrt: Das Solidaritätsmodell Ehe sollte durch den Grundsatz der Eigenverantwortung beschränkt werden. Hierbei wird eine gesetzliche Zäsur bei drei Jahren nach der Geburt gesetzt, die nach dem Willen des Gesetzgebers einer bestimmten Verlässlichkeit zukommen sollte.
– Systematisch
Im Sozialrecht ist eine Erwerbsobliegenheit der Mutter (oder des Vaters) anerkannt, wenn das nichteheliche Kind das dritte Lebensjahr erreicht hat. Das BVerfG hat eine Angleichung des nichtehelichen Kindes an das eheliche Kind gefordert.
Insoweit sollte eine Harmonisierung des Unterhaltsrechts mit dem die gesellschaftlichen Wertungen widerspiegelnden Sozialrecht (§ 10 SGB II) erfolgen.
Hiermit unvereinbar wäre es, § 1570 BGB so auszulegen, der Mutter erst ab der zweiten Schulklasse eine (volle) Erwerbsobliegenheit zuzuweisen.
– Teleologisch
Welche Betreuung für das Kind nach den Belangen des Kindes oder dem Willen der Eheleute sachgerecht ist, ist letztlich nicht entscheidend. In anderen Ländern wird sogar eine Betreuung vor dem Alter von drei Jahren befürwortet, und hier zeigt die Diskussion um das Erziehungsgeld, dass nicht jede Mutter eine "Rabenmutter" ist, die sich für eine Betreuung entscheidet. Das Gesetz will nicht in diese sehr individuellen Werte und Überzeugungen eingreifen, es will lediglich einen finanziellen Ausgleich schaffen, einen Kompromiss zwischen Kindesbelangen, nachwirkender Ehe und Eigenverantwortung.