Das Vorranggebot des FamFG
I. Einführung
Zum 1.9.2009 tritt das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – das FamFG – in Kraft. Ein neuer Eckpfeiler wird das Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 FamFG in Kindschaftssachen sein. Das Bundesjustizministerium bewirbt das neue Gesetz mit: mehr Rechte für Kinder. Die öffentlichen Anhörungen der Sachverständigen im Rechtsausschuss des Bundestages bescheinigen ein gelungenes Gesetzeswerk. Das Echo macht neugierig! Werden die Rechte der Kinder tatsächlich durch ein Verfahrensrecht verbessert? Wie wirkt sich die Reform auf die anwaltliche Tätigkeit aus? Mit diesem Aufsatz sollen Antworten und Prognosen zum Beschleunigungsgrundsatz versucht werden.
II. Vorrang- und Beschleunigungsgebot, § 155 FamFG
1. Inhalt
In Kindschaftssachen zum Aufenthalt, Umgangsrecht oder der Herausgabe sowie in Verfahren wegen Kindesgefährdung soll das Gericht binnen eines Monats nach Verfahrensbeginn – also nach (PKH-) Antragseingang – terminieren. Diese Vorgabe gilt in allen Rechtszügen und in jeder Lage des Verfahrens, also auch bei der Beauftragung von Sachverständigen oder der Bekanntgabe einer Entscheidung. Der gerichtliche Spielraum in der Terminierung wird maßgeblich begrenzt. Ausnahmen von der frühen Terminierung sind nur im Einzelfall vorgesehen, wenn z.B. lediglich geringfügige Ausweitungen bestehender Umgangskontakte begehrt werden.
Grundsätzlich gilt: In dubio pro tempo!
Die frühe Verhandlung erfolgt regelmäßig mit den Beteiligten, dem Jugendamt und dem neu geschaffenen Verfahrensbeistand.
Eine Terminsverlegung ist nur aus zwingenden Gründen möglich und bedarf der Glaubhaftmachung. Damit sind nur solche Gründe geeignet, bei denen eine tatsächliche Terminwahrnehmung – z.B. wegen einer Krankheit – ausscheidet. Terminkollisionen der beteiligten Verfahrensbevollmächtigten scheiden als Grund aus, soweit die andere Sache nicht ebenfalls eine bevorzugte Kindschaftssache ist.
Wenn die frühe Einigung im Termin scheitert, hat das Familiengericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 156 Abs. 3 FamFG von Amts wegen zu erörtern. Parallel zu einer angeordneten Beratung oder der Einholung eines Gutachtens soll das Gericht den Umgang unmittelbar regeln oder ausschließen.
Solche Vorgaben hat das bisher gültige FGG nicht gemacht, so dass mit Spannung – aber auch mit Skepsis – die praktische Umsetzung erwartet wird.
2. Erfahrungen
Anders als in Familiensachen gilt im Arbeitsrecht nach § 61a ArbGG eine gesetzliche Frist von 14 Tagen zur Durchführung der Güteverhandlung. Ca. 55 % aller Verfahrenseingänge werden in diesem Termin erledigt. Angesichts der restriktiven Rechtsprechung zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung und den ungeschriebenen Regeln zur Abfindung ist diese hohe Erledigungsquote diesen Vorgaben und nicht einer frühen Terminierung geschuldet. Eine Übertragung dieser schnellen Erledigungserfahrungen auf Kindschaftssachen ist daher nicht möglich, auch wenn der Gesetzgeber in seiner Begründung zum FamFG auf § 61a ArbGG verweist. Zumindest beweisen die Arbeitsgerichte aber, dass die Regel früher Termine gerichtlich organisiert werden kann.
In Familiensachen wurde bei Kindesgefährdungen durch § 50e FGG seit 2008 die Pflicht zur frühen Terminierung eingeführt, aussagekräftige Erfahrungswerte liegen noch nicht vor.
Erfahrungen bestehen seit 1992 im sog. Cochemer Modell mit Terminierungen binnen 14 Tagen. Auch hier zeigt sich, dass gerichtliche Verfahrensabläufe einer solchen Praxis nicht entgegenstehen.
In Kindschaftssachen zum Umgang und Sorgerecht weist die Statistik eine durchschnittliche Verfahrensdauer von rd. 7 Monaten aus. Diese am kindlichen Zeitempfinden gemessen zu lange Dauer wird als wesentliches Argument für ein gesetzlich verankertes Vorranggebot bemüht, auch wenn anzunehmen ist, dass diese Statistik undifferenziert zugrunde gelegt worden ist. Nur wegen der Verfahren, bei denen Gutachten eingeholt werden mussten, hat sich wohl eine solch lange durchschnittliche Verfahrensdauer ergeben.
Inhaltlich liegen keine fundierten Untersuchungsergebnisse zur nachhaltigen Konfliktbereinigung durch das Cochemer Modell vor. Es wird hierdurch aber erreicht, dass schnelle und einvernehmliche Lösungen im Umgangs- und Sorgebereich unter aktiver Begleitung insbesondere der beteiligten Anwälte erzielt werden. Hierbei soll nicht verkannt werden, dass dieser Erfolg mit einem interdisziplinär verordneten Zwang zum Konsens erzielt wird. In Kindschaftssachen werden in Cochem streitige Verhandlungstermine so gut wie nicht anberaumt, mangelnde Einigungsbereitschaft eines Elternteils wird auch mit der Androhung eines möglichen Sorgerechtsentzugs konfrontie...