Anmerkungen zu BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 918/10
Beginnen wir mit dem Ergebnis, es ist skurril. Ein Unterhaltsanspruch von 488 EUR monatlich bei zusätzlichen eigenen Einkünften von monatlich 1.133 EUR, wie ihn das Saarländische OLG errechnet hat, schränkt eine geschiedene Ehefrau in ihrer Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG ein. Dagegen wahrt ein Unterhaltsanspruch von 761 EUR monatlich gemäß eigener Berechnung des Bundesverfassungsgerichts das Grundrecht. 273 EUR monatlich auf der Basis gesicherter 1.621 EUR im Monat mehr oder weniger entscheiden über die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG. Das stimmt kritisch. Das Ergebnis hat keinen Bezug mehr zu dem Grundsatz, dass ein Mensch für seine Entfaltung eine finanzielle Mindestausstattung benötigt und dass er in seiner Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG beeinträchtigt wird, wenn die ihm auferlegte Unterhaltslast diesen Mindestselbstbehalt antastet.
Überprüft man die Berechnung des BVerfG (Tz 80), so stößt man auf einen Systembruch. Das Gericht hebt zu Unrecht den Unterhaltsbedarf der ersten Ehefrau um den Synergieeffekt der zweiten Ehe von 1.722 EUR um 172 EUR auf 1.894 EUR monatlich an. Es ist aber – laut BVerfG – verfassungswidrig, für den Unterhalt der ersten Ehefrau das Einkommen des Verpflichteten aus der zweitehelichen Steuerklasse 3 zugrunde zu legen, weil die Steuerklasse 3 mit den erstehelichen Verhältnissen nichts zu tun hat, vielmehr der zweiten Ehe zuzuordnen ist. Dasselbe muss für den in der zweiten Ehe erzielten Synergieeffekt gelten. Auch der hat zu den erstehelichen Verhältnissen keinen Bezug.
Das BVerfG nutzt den Fall unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit zu einer Generalabrechnung mit der Lehre des BGH von den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen und dem Dreiteilungsgrundsatz, die auf eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips erkennt und in Formulierungen gipfelt wie:
Zitat
"Mit der Einbeziehung auch nachehelich entstandener Unterhaltspflichten verliert die Rechtsauslegung … jeglichen Bezug zu der in § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB normierten Bestimmung …" (Tz 64). "Sie (die Dreiteilungsmethode) … nimmt einen Systemwechsel vor, bei dem sie die … gesetzgeberische Grundentscheidung durch eigene Gerechtigkeitsvorstellungen ersetzt" (Tz 62). "Die ehelichen Lebensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten … werden mit diesem neuen Maßstab … nicht mehr widergespiegelt. Er (der BGH) löst sich vielmehr in Gänze von seiner gesetzlichen Vorgabe" (Tz 66).
Um diese Kritik ins rechte Licht zu rücken, sei darauf hingewiesen, dass das BVerfG der Urheber der Dreiteilungsmethode mit der Entscheidung zu den Unterhaltsansprüchen von Kinder betreuenden ehelichen und nicht ehelichen Müttern und der sich anschließenden Umorientierung des Gesetzgebers gewesen ist. Folgerichtig hat der BGH am Beispiel zweier Mütter, und zwar ebenso ehelicher wie nicht ehelicher Mütter, den Dreiteilungsgrundsatz entwickelt. Der Dreiteilungsgrundsatz ist damit von Verfassungs- und Verfassungsgerichtswegen sanktioniert. Über seine Tragweite, etwa darüber, ob er auch beim Zusammentreffen eines vorrangigen mit einem nachrangigen Ehegatten gilt, lässt sich diskutieren. Das Rechtsstaatsprinzip sollte man dabei nicht bemühen.
Aber auch der Vorwurf, der BGH löse sich mit seiner Auffassung von den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen von der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB, ist nicht nachvollziehbar. Wenn nach einer Ehescheidung unterhaltsberechtigte Kinder oder andere bevorrechtigte Unterhaltsberechtigte hinzukommen, ist das eine nachträgliche Entwicklung, die sich auf den in § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB normierten nachehelichen Unterhalt auswirkt. Die Lebensverhältnisse, wie sie bei Beendigung der Ehe bestanden, sind damit nur solange maßgebend, wie sich keine rechtsrelevanten Veränderungen ergeben. Mit anderen Worten: Sie sind wandelbar.
Von den Argumenten, die das BVerfG gegen den BGH anführt, können einige nicht unwidersprochen bleiben, so die Auffassung, der geschiedene Ehegatte erhalte nach der Methode des BGH regelmäßig weniger, selten dasselbe, nie aber mehr als nach einer im Wege einer nach den ehelichen Lebensverhältnissen im Zeitpunkt der Scheidung vorgenommenen Berechnung, während dem Unterhaltsverpflichteten regelmäßig mehr, selten dasselbe und nie weniger als nach den ehelichen Lebensverhältnissen im Zeitpunkt der Scheidung verbleibe. Zur Widerlegung soll der Fall des BVerfG dahin abgewandelt werden, dass aus der neuen Ehe ein Kind hervorgeht und der neue Ehegatte Vorrang vor dem alten genießt, wobei die Berechtigten beide ohne Einkünfte sein und dem Verpflichteten nach Abzug des Kindesunterhalts und des Erwerbstätigenbonus noch 3.000 EUR monatlich verbleiben sollen. Nach BGH erhält jeder Erwachsene 1.000 EUR monatlich. Nach dem BVerfG, also ohne Dreiteilung, geht der geschiedene Ehegatte leer aus, während Verpflichteter und neuer Ehegatte jeweils 1.500 EUR monatlich zum Leben haben.
Gegen den vom BVerfG vermittelten Eindruck, der BGH benachteilige den...