Dr. Christine Hohmann-Dennhardt
Damit aber erweist sich der generelle Ausschluss des Vaters von der Sorge für sein Kind als nicht erforderlicher, jedenfalls aber als unverhältnismäßiger Eingriff in das Elternrecht des Vaters und verletzt Art. 6 Abs. 2 GG. Denn die elterliche Sorge ist essentieller Bestandteil des von Art. 6 Abs. 2 GG geschützten Rechts der Eltern auf Pflege und Erziehung des eigenen Kindes. Das Elternrecht gebietet zwar nicht, so das BVerfG, Vätern nichtehelicher Kinder generell mit wirksamer Anerkennung ihrer Vaterschaft kraft Gesetzes das Sorgerecht für ihr Kind gemeinsam mit der Mutter zuzuerkennen. Eine gesetzliche Regelung, die eine solche Rechtsfolge des Vaterschaftsanerkenntnisses vorsieht, wäre aber mit der Verfassung vereinbar, sofern sie mit der Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung verbunden wird, ob die gesetzlich begründete gemeinsame Sorge der Eltern dem Kindeswohl im Einzelfall tatsächlich entspricht. Wird die Sorgetragung allerdings einem Elternteil generell vorenthalten, ohne dass dies von Kindeswohlgründen getragen ist, liegt darin eine wesentliche Beeinträchtigung des Elternrechts. Dies bewirkt § 1626a BGB, indem die Norm den Zugang zur Sorgetragung von Vätern nichtehelicher Kinder vom Willen der Mütter abhängig macht und ihn bei deren Zustimmungsverweigerung verschließt, ohne dass feststeht, ob eine gemeinsame Sorge der Eltern dem Kindeswohl zu- oder abträglich ist. Denn es trifft nicht zu, dass die Zustimmungsverweigerung von Müttern in der Regel aus Gründen des Kindeswohls erfolgt. Bei der Sorgerechtszuweisung hat aber das Kindeswohl maßgebliche Richtschnur zu sein und nicht der Wille eines Elternteils. Dass Vätern bei Weigerung der Mutter, einer gemeinsamen Sorge zuzustimmen, keine Möglichkeit eingeräumt ist, gerichtlich überprüfen zu lassen, ob eine gemeinsame Sorgetragung in ihrem Einzelfall nicht doch aus Kindeswohlgründen angezeigt sein könnte, greift deshalb in ungerechtfertigter Weise in das Elternrecht des Vaters ein und ist mit Art. 6 Abs. 2 GG nicht vereinbar. In Konsequenz seines schon in der Entscheidung aus dem Jahre 2003 enthaltenen Hinweises auf die Folge einer Nichtbestätigung der gesetzgeberischen Annahmen hat also nun auch das BVerfG die Regelung zur Begründung einer gemeinsamen Sorge als verfassungswidrig beanstandet.
Es hat sich aber darüber hinaus auch die Auffassung des EGMR zu Eigen gemacht und diesem ausdrücklich beigepflichtet, dass der deutsche Gesetzgeber bei seiner Gesamtkonzeption der Sorgetragung von Eltern nichtehelicher Kinder inkonsequent vorgegangen ist. Es sei, so nun auch das BVerfG, kein Grund ersichtlich, weshalb der Gesetzgeber zwar bei der Beendigung einer gemeinsamen elterlichen Sorge, nicht aber bei deren Begründung eine gerichtliche Prüfung zugelassen hat, ob eine gemeinsame Sorgetragung trotz bestehender Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern darüber im konkreten Einzelfall dem Kindeswohl entspricht. Dass es bei deren Beendigung anders als bei ihrer Neubegründung zumindest in der Vergangenheit zwischen den Eltern einmal ein gewisses Maß an Kooperationsbereitschaft gegeben hat, sei kein tragfähiger Grund für die unterschiedliche rechtliche Behandlung der beiden Fallkonstellationen. In beiden Fällen bestehe ein Dissens der Eltern über die Sorgetragung für ihr gemeinsames Kind, der jeweils Indiz dafür sein könne, dass eine neu begründete oder weiterhin bestehende gemeinsame elterliche Sorgetragung wegen der elterlichen Konflikte dem Kindeswohl in Zukunft eher abträglich ist. Ob diese Annahme wirklich trage, könne aber gleichermaßen erst durch gerichtliche Prüfung im Einzelfall geklärt werden. An diesem Aufnehmen und Weiterführen der Argumentation des EGMR zeigt sich, dass beide Gerichte miteinander in Rechtsdialog stehen und gegenüber Argumenten des jeweils anderen durchaus offen sind.