Dr. Christine Hohmann-Dennhardt
In dieser neuen Entscheidung zum Sorgerecht von Eltern nichtehelicher Kinder hat das BVerfG darüber hinaus zu entscheiden gehabt, ob es mit der Verfassung in Einklang steht, dass nach deutschem Recht gem. § 1672 BGB auch eine Übertragung der Alleinsorge von der Mutter auf den Vater eines nichtehelichen Kindes nur dann möglich ist, wenn die Mutter hierzu ihre Zustimmung erteilt. Ohne Einvernehmen der Eltern ist auch hier eine gerichtliche Einzelfallprüfung bisher nicht möglich. Diese Regelung hat das BVerfG ebenfalls für unvereinbar mit Art. 6 Abs. 2 GG erklärt, weil die hierfür vom Gesetzgeber angeführte Begründung, ansonsten habe die Mutter ständig zu befürchten, bei entsprechender Antragstellung des Vaters könne ihr das Sorgerecht entzogen werden, was das bestehende Mutter-Kind-Verhältnis belaste, kein hinreichender Grund sei, den Vater bei Zustimmungsverweigerung der Mutter generell vom Sorgerecht auszuschließen und ihm keine Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung einzuräumen, ob es aus Gründen des Kindeswohls angezeigt ist, ihm die Alleinsorge für das Kind zu übertragen.
Allerdings hat das Gericht dem Gesetzgeber aufgegeben, bei Eröffnung einer gerichtlichen Einzelfallprüfung auch dem Elternrecht der Mutter eines nichtehelichen Kindes hinreichend Rechnung zu tragen. Ihr die Sorge zu entziehen sei nur gerechtfertigt, wenn es zur Wahrung des väterlichen Elternrechts keine andere Möglichkeit gibt, die weniger in das mütterliche Elternrecht eingreift, und wenn gewichtige Kindeswohlgründe vorliegen, die den Sorgerechtsentzug nahelegen. Denn werde der Mutter die bisher von ihr ausgeübte Sorge für ihr Kind gänzlich entzogen, und zwar nicht, weil sie bei ihrer Erziehungsaufgabe versagt hat und dadurch das Kindeswohl gefährdet ist, sondern weil in Konkurrenz zu ihr der Vater sein Recht reklamiert, an ihrer Stelle für das Kind zu sorgen, stelle dies wiederum einen Eingriff nun in ihr Elternrecht dar. Dabei könne nicht außer Acht bleiben, dass Mütter durch ihre nach deutschem Recht bestehende Inpflichtnahme zur Sorge für ihr Kind ab dessen Geburt anders als Väter nichtehelicher Kinder nicht die Wahl haben, sich für oder gegen ein Sorgetragen für ihr Kind zu entscheiden. Ein Entzug der ihnen auferlegten Elternverantwortung trotz nicht zu beanstandender Ausübung der elterlichen Sorge wiege deshalb schwer.
Zudem müsse Berücksichtigung finden, dass mit einem Sorgerechtswechsel von der Mutter auf den Vater, anders als bei der Begründung einer gemeinsamen elterlichen Sorge, regelmäßig auch ein Wechsel des Kindes vom Haushalt der Mutter in den des Vaters verbunden ist. Dies wirke sich nicht nur auf die bestehende Mutter-Kind-Beziehung aus, sondern berühre auch die Interessen des Kindes nach Stabilität und Kontinuität hinsichtlich seiner gewachsenen persönlichen Bindungen und seines sozialen Umfeldes. Deshalb sei auch in einem Verfahren auf Übertragung der Alleinsorge von der Mutter auf den Vater eines nichtehelichen Kindes zunächst einmal zu prüfen, ob als weniger einschneidende Veränderung nicht eine gemeinsame Sorgetragung der Eltern angezeigt sein könnte, die dem Kindeswohl nicht abträglich ist. Sofern dies der Fall sei, müsse eine Übertragung der Alleinsorge auf den Vater unterbleiben. Wenn nicht, könnten gewichtige Belange des Kindes und sein Wohl den Wechsel der Alleinsorge auf den Vater rechtfertigen.
Erwähnt sei hier noch am Rande, dass das Gericht zwar offen gelassen, aber auch mit seiner getroffenen vorläufigen Regelung den Hinweis gegeben hat, es könnte angezeigt sein, jedem Elternteil ein Antragsrecht auf gerichtliche Entscheidung über die elterliche Sorgetragung unabhängig vom Willen des anderen Elternteils einzuräumen, sofern der Gesetzgeber dabei bleiben sollte, zunächst der Mutter die Alleinsorge für das Kind zuzuweisen. Denn zu bedenken ist, dass Mütter ohne ein solches Recht weiterhin an der ihnen auferlegten Sorgetragung für ihr Kind dauerhaft festgehalten würden, wenn der Vater zur Sorgetragung nicht bereit ist, Väter aber sich für oder gegen eine Sorgetragung entscheiden könnten. Damit hinge es nicht mehr vom Willen der Mutter, sondern nun umgekehrt allein vom Willen des Vaters ab, ob dieser auch die mit dem Sorgerecht verbundenen Pflichten trägt. Daraus gegebenenfalls dauerhafte Schlussfolgerungen zu ziehen, hat das Gericht dem Gesetzgeber überlassen.