Dr. Christine Hohmann-Dennhardt
Diese Regelung zur Begründung einer gemeinsamen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern für ihr Kind, die deren beiderseitigen erklärten Willen dazu zur Voraussetzung macht, war Gegenstand der Entscheidung des EGMR vom 3. Dezember 2009 und wurde von ihm als die Konvention verletzend beanstandet, während das BVerfG die Regelung im Jahre 2003 unter Respektierung der Prognoseeinschätzungen des Gesetzgebers für verfassungsgemäß erachtet hatte. Dieser war bei Abfassung der Neuregelung davon ausgegangen, dass Eltern nichtehelicher Kinder in aller Regel künftig die ihnen nunmehr eingeräumte Möglichkeit zur gemeinsamen Sorgetragung nutzen würden. Verweigere aber eine Mutter ihre Zustimmung dazu, sei dies maßgeblich von Kindeswohlgesichtspunkten getragen und offenbare einen schwerwiegenden Konflikt zwischen den Eltern, sodass davon auszugehen sei, dass unter diesen Umständen eine gemeinsame Sorge dem Kindeswohl abträglich sei. Allerdings hatte das BVerfG in seiner Entscheidung dazu dem Gesetzgeber aufgegeben, die tatsächliche Entwicklung zu beobachten und zu erforschen, ob sich dessen Annahmen in der Realität bestätigen.
1. Die Prüfmaßstäbe
Beim Vergleich der beiden Entscheidungen ist zunächst festzuhalten, dass die Maßstäbe nicht vollständig deckungsgleich sind, anhand derer einerseits das BVerfG und andererseits der EGMR das nationale Recht auf seine Verfassungsmäßigkeit bzw. Menschenrechtskonformität prüfen. So hat das Bundesverfassungsgericht die deutsche Regelung über den Zugang zur gemeinsamen Sorge vorrangig am Maßstab des Art. 6 Abs. 2 GG gemessen, der Eltern das Recht anerkennt und die Pflicht auferlegt, ihre Kinder zu pflegen und zu erziehen, und dabei erörtert, ob die durch die Norm erfolgende Beschränkung dieses Recht des Vaters eines nichtehelichen Kindes durch hinreichende Gründe, die dem Kindeswohl Rechnung tragen, gerechtfertigt ist. Erst danach hat es dann als weitere Prüfmaßstäbe Art. 6 Abs. 5 GG, der die Gesetzgebung anhält, nichtehelichen Kindern die gleichen Entwicklungsbedingungen zu schaffen wie ehelichen Kindern, sowie den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG herangezogen. Demgegenüber hat der EGMR seine Prüfung auf Art. 14 EMRK konzentriert, der ein Diskriminierungsverbot hinsichtlich der in der Konvention anerkannten Rechte statuiert, und dabei mangels eines in der EMRK ausdrücklich statuierten Elternrechts Art. 8 EMRK herangezogen, der das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens enthält. Insofern ist der Gerichtshof der Frage nachgegangen, ob die Vorenthaltung der gemeinsamen Sorge bei verweigerter Zustimmung der Mutter den Vater eines nichtehelichen Kindes gegenüber der Mutter und gegenüber Vätern ehelicher Kinder diskriminiert. Diese verschiedenen Prüfmaßstäbe haben die jeweilige Herangehensweise an die Thematik geprägt und den Argumentationsduktus bestimmt, mit der die Entscheidungen begründet wurden.
2. Die Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2003
So hat das Bundesverfassungsgericht geprüft, ob die Vorenthaltung des Sorgerechts, die einen Eingriff in das von Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes darstellt, gerechtfertigt werden kann. Hierzu hat es ausgeführt, das Kindeswohl verlange, dass ein Kind ab seiner Geburt eine Person hat, die für das Kind rechtsverbindlich handeln kann. Angesichts der Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse, in die nichteheliche Kinder hineingeboren würden, sei nicht generell davon auszugehen, dass der Vater des Kindes bei der Geburt schon bekannt sei, die Vaterschaft anerkannt habe und auch gewillt sei, Sorge für das Kind zu tragen. Die Situation sei insofern anders als bei ehelichen Kindern, bei denen zum Zeitpunkt ihrer Geburt aufgrund gesetzlicher Vermutung, die an das Eheversprechen der Eltern anknüpfe, neben der Mutter auch schon der Vater feststehe und rechtlich Verantwortung für das Kind tragen könne. Insofern sei es gerechtfertigt und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der deutsche Gesetzgeber zunächst einmal der Mutter eines nichtehelichen Kindes die alleinige Sorge für das Kind zuweise.
Der Gesetzgeber habe dem Elternrecht von Vätern nichtehelicher Kinder dadurch Rechnung getragen, dass er ihnen den Zugang zur gemeinsamen Sorge für ihr Kind eröffnet habe, wenn sie gemeinsam mit der Mutter eine entsprechende Sorgeerklärung abgeben. Er habe damit den übereinstimmenden Willen der Eltern zur Voraussetzung für eine gemeinsame Sorgetragung gemacht, ebenso wie bei verheirateten Eltern, die diesen Willen schon im Eheversprechen zum Ausdruck gebracht hätten. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber im Falle der Weigerung der Mutter, eine solche Erklärung abzugeben, dem Vater keine Möglichkeit eröffnet habe, gerichtlich überprüfen zu lassen, ob eine gemeinsame elterliche Sorge für das Kind nicht doch die bessere Lösung als die Alleinsorge der Mu...