I. Betroffene Sachverhalte
In jüngster Zeit ist die Öffentlichkeit mit Missbrauchsfällen konfrontiert worden, die die Frage aufdrängen, wie so etwas passieren kann und was hätte getan werden müssen, um Kinder vor solchen körperlichen und seelischen Schäden zu bewahren. Der BGH hatte sich jüngst in zwei Fällen mit dem familienrechtlichen Instrumentarium – konkret §§ 1666, 1666a BGB – zu befassen, wenn Anlass für die Befürchtung besteht, ein Kind könne sexuellen Übergriffen ausgesetzt sein.
In dem im Jahr 2017 entschiedenen Fall ging es um den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts einer allein sorgeberechtigten Mutter hinsichtlich ihrer sieben Jahre alten Tochter. Die Mutter war im Jahr 2015 mit ihrer Tochter und dem Sohn, zwölf Jahre alt, zu ihrem Lebensgefährten gezogen, der wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern vorbestraft war. Der nunmehr entschiedene Fall betraf u.a. auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht der allein sorgeberechtigten Mutter für ihre im September 2007 geborene Tochter. Die Mutter war im Mai 2016 mit ihrer Tochter bei ihrem Lebensgefährten eingezogen, mit dem sie seit Februar 2016 eine Beziehung unterhielt und der u.a. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden war.
II. Inhalt der Entscheidung
Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, hat das Familiengericht nach § 1666 Abs. 1 BGB die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind. Dazu gibt der BGH erneut in seiner jüngsten Entscheidung folgende Maßstäbe vor:
1. Beachtung des Grundrechtsschutzes
Für die Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift hebt der BGH (Rn 15) erneut den besonderen Schutz hervor, unter dem die Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG steht; er betont das aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG garantierte und vorgegebene Recht der Eltern, die Erziehung ihrer Kinder nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, wobei indes das Kindeswohl oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein müssen.
2. Feststellung der Kindeswohlgefährdung auf der Tatbestandsebene
Auf der Tatbestandsebene ist Voraussetzung für ein Eingreifen des Staates – egal welcher Intensität – die Feststellung einer konkreten Gefährdung des Kindeswohls, zu deren Abwendung die sorgeberechtigten Personen nicht gewillt oder in der Lage sind. Die Kindeswohlgefährdung besteht bei einer gegenwärtigen, in einem solchen Maß vorhandenen Gefahr, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche – eine nicht erhebliche reicht nicht aus – Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit einer auf konkreten, nicht abstrakten Verdachtsmomenten beruhenden hinreichenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Rn 18). Dabei kann das erforderliche Maß der Gefahr nicht abstrakt generell festgelegt werden. Denn der Begriff der Kindeswohlgefährdung erfasst eine Vielzahl von möglichen, sehr unterschiedlichen Fallkonstellationen. Erforderlich ist daher seine Konkretisierung mittels Abwägung der Umstände des Einzelfalls. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt.
3. Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf der Rechtsfolgenseite
Auf der Rechtsfolgenseite muss jeder Eingriff in das Elternrecht dem – für den Fall der Trennung des Kindes von der elterlichen Familie in § 1666a BGB ausdrücklich geregelten – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.
a) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn
Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs müssen sich nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach bestimmen, was im Interesse des Kindes geboten ist. Die anzuordnende Maßnahme muss zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung geeignet, erforderlich und auch im engeren Sinne verhältnismäßig sein. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gegeben, wenn der Eingriff unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zumutbar ist. Hierbei ist insbesondere auch das Verhältnis zwischen der Schwere des Eingriffs und seiner Folgen, dem Gewicht des dem Kind drohenden Schadens und dem Grad der Gefahr zu berücksichtigen.
b) Verhältnismäßigkeit bei auch teilweiser Entziehung der elterlichen Sorge
Die – auch teilweise – Entziehung der elterlichen Sorge als besonders schwerer Eingriff kann daher nur bei einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes mit einer höheren – einer ebenfalls im Einzelfall durch Abwägung aller Umstände zu bestimmenden ziemlichen – Sicherheit eines Schadenseintritts verhältnismäßig sein. Die Anordnung weniger einschneidender Maßnahmen kann dagegen bereits bei geringerer Wahrscheinlichkeit verhältnismäßig sein (Rn 33).
c) Folgenabwägung für das Kindeswohl
Auch sind die negativen Folgen einer Trennung des Kindes von den Eltern und einer Fremdunterbringung zu berücksichtigen; sie müssen durch die hinreichend gewisse Aussicht auf Beseitigung der festgestellten Gefahr aufgewogen werden, so dass sich die Situation des Kindes in der G...