1. Abgrenzungskriterien
Die Einordnung der neuen europäischen Scheidungsformen als Verfahrens- oder Privatscheidungen bereitet Schwierigkeiten, weil die europäische Vertragsscheidung ein relativ junges Phänomen ist und sich die klassischen Abgrenzungskriterien eher auf Verstoßungs- und Vertragsscheidungen aus Drittstaaten beziehen. Auch hier war die Abgrenzung nicht immer einfach, weil auch bei drittstaatlichen Privatscheidungen in den meisten Fällen eine staatliche oder geistliche Stelle in irgendeiner Weise beteiligt werden muss.
Als traditionelles Abgrenzungskriterium hat sich daher in der Vergangenheit die Frage etabliert, ob diese Beteiligung konstitutiv oder lediglich deklarativ ist. Damit ist aber nicht gemeint, ob die (quasi-)staatliche Beteiligung zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung ist, denn das kann auch bei einem rein formalen Akt, etwa einer Registrierung, der Fall sein. Gemeint ist vielmehr, durch welchen Akt die ehebeendende Wirkung herbeigeführt wird – den staatlichen Hoheitsakt oder den privaten ein- oder zweiseitigen Willensakt.
Außerdem wird auf Umfang und Intensität der behördlichen Beteiligung abgestellt. Handelt es sich dabei um einen rein formalen Akt, wird die Scheidung als Privatscheidung qualifiziert. Nimmt die Behörde dagegen eine inhaltliche Überprüfung der materiellen Scheidungsvoraussetzungen vor und kann die Scheidung auch unter Verweis auf inhaltliche Aspekte, z.B. die fehlende Ausgewogenheit der Scheidungsfolgenvereinbarung, ablehnen, geht man von einer Verfahrensscheidung aus.
Vor allem bei der Einordnung der neuartigen Vertragsscheidungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten führen diese Kriterien allerdings nicht immer zu eindeutigen Ergebnissen.
2. Bedeutung der Abgrenzung mit Blick auf Inlandsscheidungen
Die Abgrenzung von Privat- und Verfahrensscheidungen erfolgt dabei nicht allein aus begrifflichem Interesse, sondern hat weitreichende Konsequenzen. In Bezug auf Inlandsscheidungen, also Scheidungen, die in Deutschland durchgeführt werden, sind nämlich die oben genannten Vorschriften zum Scheidungsmonopol der Gerichte zu beachten. Aus § 1564 S. 1 BGB und Art. 17 Abs. 3 EGBGB folgt, dass jede Scheidung, die in Deutschland ohne Beteiligung eines Gerichts vorgenommen wird, ohne Rücksicht auf die Einzelfallumstände unwirksam ist. Dabei liegt immer dann eine Inlandsscheidung vor, wenn ein wesentlicher bzw. der konstitutive Teilakt in Deutschland vorgenommen wurde, also etwa, wenn die Verstoßungserklärung in Deutschland abgegeben oder der Scheidungsvertrag im Inland geschlossen wurde.
Eine Art. 13 Abs. 4 S. 2 EGBGB vergleichbare Vorschrift existiert nicht. Angehörige eines fremden Staates können also z.B. auch nicht vor einer Auslandsvertretung in Deutschland nach der Form ihres Heimatstaats einen wirksamen Scheidungsvertrag schließen. Dies gilt auch dann, wenn das Kollisionsrecht eigentlich ausländisches Recht zur Anwendung beruft oder eine wirksame Rechtswahl zugunsten eines privatscheidungsfreundlichen Rechts vorliegt.
3. Bedeutung der Abgrenzung mit Blick auf Auslandsscheidungen
In Bezug auf Auslandsscheidungen ist die Abgrenzung vor allem für den Modus der Anerkennung entscheidend. Denn nach der bisherigen Dogmatik des deutschen wie europäischen Rechts muss es sich um eine gerichtliche oder behördliche Entscheidung, also um eine Verfahrensscheidung handeln, damit die verfahrensrechtlichen Anerkennungsregeln der Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO oder des § 109 FamFG anwendbar sind. Im Gegensatz dazu werden ausländische Privatscheidungen einer vollumfänglichen materiellen Wirksamkeitskontrolle unterzogen, die auch als "kollisionsrechtliche Anerkennung" bezeichnet wird. Das bedeutet, dass über das Kollisionsrecht das jeweilige Scheidungsstatut ermittelt und anschließend geprüft werden muss, ob nach diesem Recht alle Scheidungsvoraussetzungen vorlagen. Diese Zweispurigkeit wird allgemein damit begründet, dass eine Verfahrensscheidung einen gewissen Vertrauensvorschuss genießt, weil sich in diesem Fall anders als bei Privatakten bereits eine staatliche Stelle inhaltlich mit der Scheidung befasst hat.
Ob eine ausländische Scheidung der verfahrens- oder kollisionsrechtlichen Anerkennung unterliegt, entscheidet nicht selten über das Ergebnis der Anerkennung. Denn sowohl der verfahrensrechtliche Anerkennungsmechanismus der Brüssel IIa-VO für Scheidungen aus anderen Mitgliedstaaten als auch der autonome Maßstab des § 109 FamFG für Verfahrensscheidungen aus Drittstaaten sind vergleichsweise großzügig. Die Anerkennung darf nur versagt werden, wenn einer der abschließend in Art. 22 Brüssel IIa-VO bzw. § 109 FamFG aufgezählten Gründe einschlägig ist. Diese Anerkennungsversagungsgründe sind in beiden Rechtsakten eng begrenzt. Der einzig relevante Unterschied besteht darin, dass § 109 Abs. 1 Nr. 1 FamFG anders als das europäische Recht (vgl. Art. 24 Brüssel IIa-VO) die Anerkennung auch dann ausschließt, wenn im Scheidungsstaat keine Anerkennungszuständigkeit nach dem Spiegelbildprinzip bestand. Davon abgesehen führt der verfahrensrechtliche Anerkennungsmaßstab des § 109 FamFG aber genau wie derjenige der Brüssel I...