Zur Frage des Vermögenseinsatzes des Unterhaltsberechtigten beim nachehelichen Unterhalt
Einführung
Der Beitrag stellt die überarbeitete Fassung des Vortrags dar, vorgetragen auf der Herbsttagung 2021 der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins.
I. Normzweck
Bei § 1577 BGB stellt sich als erstes die Frage nach dem Normzweck: Was will § 1577 BGB und welchen Stellenwert nimmt er im Gesamtgefüge des nachehelichen Unterhalts ein?
Der BGH hat bereits in einer früheren Entscheidung bei der Frage der Verwertung eines Pflichtteilsanspruches betont, dass nach § 1577 Abs. 1 BGB ein geschiedener Ehegatte Unterhalt nicht verlangen kann, solange und soweit er sich aus seinen Einkünften und seinem Vermögen selbst unterhalten kann. Daraus ergäbe sich die Obliegenheit, vorhandenes Vermögen so ertragreich wie möglich anzulegen und es ggfs. auch umzuschichten, denn auch solche Einkünfte minderten die Bedürftigkeit, die zwar tatsächlich nicht gezogen, aber in zumutbarer Weise gezogen werden könnten. Grundsätzlich sei zur Behebung der Bedürftigkeit auch die Verwertung des Vermögensstammes geboten. Einschränkungen ergäben sich gemäß § 1577 Abs. 3 BGB nur dahin, dass die Verwertung nicht zumutbar sei, wenn sie unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig sei.
Daraus folgt:
§ 1577 BGB ist in engem Kontext mit § 1569 BGB zu sehen. § 1569 BGB, der durch das 2. Unterhaltsänderungsgesetz gegenüber der früheren Fassung des ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14.6.1976 eine stärkere Betonung der unterhaltsrechtlichen Eigenverantwortung der Ehegatten erfahren hat und den Grundgedanken betont, dass jeder Ehegatte nach Scheidung selbst für seinen Unterhalt zu sorgen hat, ist für die Auslegung aller nachfolgenden Unterhaltstatbestände, auch soweit sie wie § 1577 BGB keine weitere Änderung mehr erfahren haben, maßgebend. Deutlich wird dies aus einem Vergleich der beiden Fassungen:
1569 BGB a.F. lautete:
Zitat
"Kann ein Ehegatte nach der Scheidung nicht selbst für seinen Unterhalt sorgen, so hat er gegen den anderen Ehegatten einen Anspruch auf Unterhalt nach den folgenden Vorschriften."
Demgegenüber lautet die jetzige Fassung:
Zitat
"Nach der Scheidung obliegt es jedem Ehegatten, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Ist er dazu außerstande, hat er gegen den anderen Ehegatten einen Anspruch auf Unterhalt nur nach den folgenden Vorschriften".
Dabei folgt aus der vom Gesetzgeber vorgenommenen Einfügung des Wortes "nur" in § 1569 S. 2 BGB nicht nur eine enumerative Einschränkung auf die §§ 1570 ff. BGB, sondern auch der Hinweis, dass der nacheheliche Unterhaltsanspruch nicht die Regel, sondern eine Ausnahme ist und nur zum Tragen kommt, wenn einer der Ausnahmetatbestände der §§ 1570 ff. BGB vorliegt. Somit muss auch die Auslegung des § 1577 BGB dieser stärkeren Betonung der Eigenverantwortlichkeit gerecht werden.
Die Regelung des § 1577 BGB legt in Absatz 1 zunächst den Grundsatz fest, dass der geschiedene Ehegatte den Unterhalt nicht verlangen kann, solange und soweit er sich aus seinen Einkünften und seinem Vermögen selbst unterhalten kann. Damit geht das Gesetz davon aus, dass dieser Ehegatte vor der Inanspruchnahme des Verpflichteten auf nachehelichen Unterhalt vorrangig auf eigene Mittel zurückgreifen muss, und zwar nicht nur auf eigene Einkünfte aus Erwerbstätigkeit und laufende Einkünfte aus seinem Vermögen (Zinsen, Dividenden, Ausschüttungen aus Unternehmensbeteiligungen, Miete, Pacht u.a.), welche in jedem Fall als bedarfsmindernd zu berücksichtigen sind, sondern darüber hinaus auch auf den Vermögensstamm selbst. Dies war schon in der Fassung des 1. EheRG festgelegt und ist inhaltlich auch so geblieben. Das hat seinen Grund darin, dass Unterhalt seiner Bestimmung nach nur der Deckung des (nachehelichen) laufenden Lebensbedarfs dienen, aber nicht mittelbar dazu führen soll, eine eigene Vermögensposition unangetastet zu bewahren oder gar zu vermehren. Denn Unterhalt dient nicht der Vermögensbildung. Das aber würde in all jenen Fällen eintreten, in denen der volle eheangemessene Unterhalt vom Unterhaltsverpflichteten bis an dessen Schongrenze des § 1581 S. 1 BGB gezahlt werden müsste. Denn nach § 1581 S. 1 BGB ist der Unterhaltsverpflichtete gehalten, seine gesamten Erwerbs- und Vermögensverhältnisse für den eheangemessenen Unterhaltsbedarf (§ 1578 BGB) des Berechtigten einzusetzen, allerdings nur insoweit, als er unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen nicht seinen eigenen angemessenen Unterhalt gefährdet. Bis zu dieser Gefährdungsgrenze könnte der Berechtigte jedoch Unterhalt fordern, ohne auf den Einsatz zumindest eines Teils seines eigenen Vermögens verwiesen werden zu können.
Diese Schlussfolgerung halte ich für bedenklich. Sie dürfte der Zielvorstellung des Gesetzgebers in § 1577 Abs. 1 BGB nicht entsprochen haben, denn warum hätte er sonst auch das Vermögen in § 1577 Abs. 1 BGB ausdrücklich erwähnt. Vielmehr muss der Unterhaltsberechtigte sein...