BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 20.1.2023 – 1 BvR 2345/22
1. Der angeordnete vorläufige Umgangsausschluss einschließlich des Ausschlusses begleiteter Umgänge hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen noch stand. Der Beschwerdeführer ist nicht in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG verletzt.
2. Eine Einschränkung oder ein Ausschluss des von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG gewährleisteten Umgangsrechts ist nur veranlasst, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Schutz des Kindes dies erfordert, um eine Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwehren (vgl. BVerfGE 31, 194 <209 f.). Um dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG dabei Rechnung zu tragen, müssen die Fachgerichte jedenfalls bei einem länger andauernden oder einem unbefristeten grundsätzlich die dem Kind drohenden Schäden ihrer Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit nach konkret benennen (vgl. BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Ersten Senats v. 25.5.2022 – 1 BvR 326/22, Rn 13 m.w.N.).
3. Soweit die drohende Kindeswohlgefährdung bei jeglichem Kontakt der Kinder mit ihrem Vater auf den Verdacht des sexuellen Missbrauchs jedenfalls zu Lasten seiner älteren Tochter und die ablehnende Haltung seiner Töchter gestützt wird, beruhen die dem zugrunde liegenden Feststellungen und die darauf gestützte Abwägung nicht auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts (vgl. zum Maßstab BVerfGE 18, 85 <92 f.>).
4. Auch wenn in fachgerichtlichen einstweiligen Anordnungsverfahren angesichts der spezifischen Eilbedürftigkeit dieser Verfahren die praktisch verfügbaren Aufklärungsmöglichkeiten regelmäßig hinter den im Hauptsacheverfahren bestehenden Möglichkeiten zurückbleiben (vgl. BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Ersten Senats v. 29.9.2015 – 1 BvR 1292/15, Rn 19), muss sich die Gefährdungslage aber auch insoweit nach Ausmaß und Wahrscheinlichkeit derart verdichtet haben, dass ein sofortiges Einschreiten auch ohne weitere gerichtliche Ermittlungen geboten ist (vgl. BVerfG, Beschl. der 2. Kammer des Ersten Senats v. 13.7.2017 – 1 BvR 1202/17, Rn 19).
5. Je gewichtiger der zu erwartende Schaden für das Kind oder je weitreichender mit einer Beeinträchtigung des Kindeswohls zu rechnen ist, desto geringere Anforderungen müssen an den Grad der Wahrscheinlichkeit gestellt werden, mit der auf eine drohende oder erfolgte Verletzung geschlossen werden kann, und desto weniger belastbar muss die Tatsachengrundlage sein, von der auf die Gefährdung des Kindeswohl geschlossen wird (vgl. BVerfG, Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats v. 16.9.2022 – 1 BvR 1807/20, Rn 45 m.w.N.).
6. Bei Körperkontakt mit Sexualbezug – hier mit dem Geschlechtsteil des Vaters – ist die Prognose einer Kindeswohlgefährdung bei unmittelbarem Umgang mit dem Vater im einstweiligen Anordnungsverfahren hinreichend tragfähig. Auch der Ausschluss begleiteter Umgänge und jeglichen Kontakts zu den Töchtern ist unter Berücksichtigung der im einstweiligen Anordnungsverfahren aus Zeitgründen eingeschränkten Möglichkeiten der Sachaufklärung und der Schwere der im Raum stehenden Vorwürfe unter Berücksichtigung des ablehnenden Willens jedenfalls der älteren, zehnjährigen Tochter noch verhältnismäßig. Allerdings wird das OLG nach nunmehr gut elf Monaten ohne Umgang und ohne Kontakt zu den Töchtern zügig zu einer Hauptsacheentscheidung zum Umgang gelangen müssen und bis dahin regelmäßig zu überprüfen haben, ob der einstweilige Umgangsausschluss aufrechterhalten oder verändert werden muss.
(red. LS)
OLG Braunschweig, Beschl. v. 17.3.2023 – 1 UF 2/23
1. Ein nicht sorgeberechtigter Elternteil ist jedenfalls dann zur Beschwerde gegen die Auswahl und Bestellung des Vormunds berechtigt, wenn seinem bereits im Vorfeld des vorangegangenen Sorgerechtsentzugs unterbreiteten Vorschlag der Bestellung eines nahen Verwandten nicht gefolgt wurde.
2. Gemäß § 1778 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist bei der Auswahl des Vormunds auch der Wille eines nicht sorgeberechtigten Elternteils mit zu berücksichtigen.
3. Im Rahmen der Auswahl des Vormunds spielt der Kontinuitätsgrundsatz insbesondere dann eine gewichtige Rolle, wenn das Mündel bereits mehrere Beziehungsabbrüche erlebt hat. Zudem kann auch der Gesichtspunkt der Verhinderung einer Verunsicherung des Mündels durch widersprüchliche Darstellungen über den Grund der Inhaftierung seines Vaters zu berücksichtigen sein.
OLG Bamberg, Beschl. v. 9.11.2022 – 7 UF 201/22
Bei der einstweiligen Anordnung nach § 331 FamFG sind die Eltern (anders als im Hauptsacheverfahren: § 167 Abs. 4 FamFG) nicht persönlich anzuhören, denn § 331 FamFG regelt nur die Anhörung des Betroffenen und nicht der Eltern (zu Recht ablehnend Hammer, FamRZ 2023, 600).