Anmerkung
BGH Urt. v. 5. 3. 2008 – XII ZR 22/06
1. Das Urteil unterscheidet beim Wohnvorteil des in der Ehewohnung verbliebenen Ehegatten zutreffend zwischen der Zurechnung einer Miete für eine angemessene Ersatzwohnung und der Zurechnung der Marktmiete für die Ehewohnung. Es geht um fiktives Einkommen, dessen Behandlung wie wirkliches Einkommen im einen Fall wegen eines geldwerten Vorteils, im anderen wegen einer Obliegenheitsverletzung begründet ist. Wer mietfrei wohnt, spart sich die Miete, die im Normalfall für die Wohnungsnutzung zu zahlen ist. Wegen Ersparnis ist der Ansatz der Marktmiete der Ehewohnung für den in der Ehewohnung verbleibenen Ehegatten nur gerechtfertigt, wenn er sich eine Wohnung dieser Größe und Ausstattung nach den ehelichen Lebensverhältnissen auch allein mieten würde. Ist dies zu verneinen, kann als fiktives Einkommen wegen Ersparnis nur ein geringerer Betrag in Höhe der Miete für eine kleinere Ersatzwohnung angesetzt werden (angemessene Miete). Ein Mietvorteil wegen Mietersparnis kann nicht nur bei Eigentum an der Wohnung bestehen, sondern auch dann, wenn die Wohnungsnutzung aus sonstigen, etwa schuldrechtlichen Gründen, weniger als die Marktmiete kostet.
2. Die Zurechnung der Marktmiete als fiktives Einkommen setzt voraus, dass der Benutzer diese bei unterhaltsrechtlich pflichtgemäßem Verhalten erzielen könnte. Dies setzt voraus, dass er über die Wohnung verfügen kann. In der Regel kann dies nur der Eigentümer. Außerdem muss eine Obliegenheit zur Vermietung zu bejahen sein. Davon geht der BGH im entschiedenen Fall ohne Weiteres aus, indem er von der Zumutbarkeit einer Verwertung spricht, wenn mit einer Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr zu rechnen ist. Der Ehegatte kann jedoch auch gehalten sein, die Wohnung zu verkaufen und die Zinsen aus der Anlage des Erlöses als Einkommen zu verwenden, wenn er andernfalls eindeutig unwirtschaftlich handeln würde. Verkauf und Vermietung können indes trotz des endgültigen Scheiterns der Ehe unzumutbar sein. Dies hat der BGH mit Urt. v. 5.4.2000 für den Fall entschieden, dass der verpflichtete Ehegatte nach der Scheidung aus dem früher im Miteigentum der Parteien stehenden Einfamilienhaus nicht ausziehen muss. Die konkrete vorwerfbare Obliegenheitsverletzung ist, wie aus der Begründung dieser Entscheidung hervorgeht, letztlich für die Zurechnung der Marktmiete entscheidend, nicht die fehlende Beteiligung am Zugewinn, nicht die endgültige Zerrüttung der Ehe oder die Scheidung. Diese sind nur gewichtige Umstände, die es regelmäßig rechtfertigen, bei der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls die Verletzung einer Obliegenheit zur Vermietung anzulasten.
3. Das Urteil regelt Ehegatten- und Kindesunterhalt. Ein möglicher Mietvorteil beim Kindesunterhalt wird jedoch vom BGH nicht angesprochen, weil er den Mietvorteil nur als ein Problem des Ehegattenunterhaltsrechts sieht. Der Wohnvorteil ist indes keine Besonderheit des Ehegattenunterhalts, sondern eine allgemeine Frage der Zurechnung von Einkommen aus Vermögen. Es ist mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht zu vereinbaren, den Unterhaltsanspruch von Kindern gegenüber Eltern, die Miete zahlen müssen, in gleicher Höhe zu bemessen wie von Eltern, die mietfrei wohnen.
4. Das Urteil des BGH kann wie folgt zusammengefasst werden: Als Wohnvorteil ist grundsätzlich die Marktmiete für die Ehewohung anzusetzen, die angemessene ersparte Miete dagegen nur in der ersten Zeit der Trennung bis feststeht, dass die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten ist. Zutreffend erscheint dagegen, dass beim Verwandten- wie beim Ehegattenunterhalt, bei diesem sowohl beim Trennungs- wie beim nachehelichen Unterhalt, mindestens die ersparte Miete für eine angemessene Ersatzwohnung als fiktives Einkommen ansetzbar ist, die Marktmiete dagegen nur, wenn die Unterhaltspartei konkret diese erspart oder ihr als schuldhafte Obliegenheitsverletzung anzulasten ist, dass sie diese nicht erzielt.
Dr. Hans-Ulrich Graba, Vorsitzender Richter am OLG a. D. Neusäß bei Augsburg