1. Vorbemerkungen
Als Ausgangspunkt ist die klassische Erstberatungssituation im familienrechtlichen Verfahren zu betrachten.
Der Mandant beginnt sein Problem zu schildern und nach wenigen Minuten erfasst der routinierte Familienrechtsanwalt das "wahre Problem" des Mandanten, zieht eine seiner "Stereotypschubladen" und unterbricht den Mandanten in dem Moment, in dem er meint, dieser habe nun genug erklärt. Er versteht nun, was das wahre Anliegen des Mandanten ist, was er mit seiner reichhaltigen Erfahrung begründen kann. Sodann erklärt er dem Mandanten, welche Probleme wirklich da sind und wie man rechtlich und psychologisch auf das Verhalten der Gegenseite, basierend auf den profunden Einschätzungen der eigenen Partei, reagiert.
Um aus dieser schablonenartigen Limitierung herauszukommen, ist das vorzustellende Neun-Felder-Modell ein Lösungsansatz.
2. Ausgangspunkt für das Neun-Felder-Modell
Kuhlmann und Rieforth gehen davon aus, dass jedem Problem ein "verborgener Wunsch" zugrunde liegt. Der Lösungsansatz für das Problem, das in der familienrechtlichen Sachbearbeitung ein zwischenmenschliches Paar- oder Eltern-Kinder-Problem ist, wäre durch die Realisierung des Wunsches zu beseitigen.
Der Mandant befindet sich in einem sozialen System und erlebt seine Problematik, und nur wenige Mandanten brauchen wirklich den "Übervater", der ihnen sagt, "wo es lang geht".
3. Was macht ein Problem zum Problem?
Folgende Bedingungen sind vom Mandanten oder auch vom Gegner zu erfüllen, um ein Problem als Problem zu empfinden.
Es bedarf:
- mindestens einer Person, die eine Situation subjektiv als Problem erlebt;
- eines ursprünglichen Wunsches bzw. eines Bedürfnisses der Person nach Veränderung der Situation sowie
- der momentanen Unmöglichkeit für die Person, eine Lösung für die Situation zu gestalten.
Dies bedeutet:
“Das erlebte Problem und die mögliche Lösung sind in der Form miteinander verbunden und der vermeintliche Wunsch bedingt das Problem.
Das bedeutet auch, dass die Person, die das Problem für sich erlebt, den ursprünglichen Wunsch und damit die Lösung für die Situation kennt.
Die Person, die das Problem hat, ist somit der Experte für die Lösung.“
Es bedarf des Anwalts als mit Kommunikationsregeln vertrauten Fachmanns oder des Mediators nicht für die Lösung selbst, sondern für den Weg zur Lösung durch den Mandanten.
Nur die Person selbst, die das Problem hat, und nicht ihr Anwalt kennt das eigene dazugehörige Bedürfnis!
Der Anwalt wird mithin im übertragenen Sinne zum Prozessbegleiter des problembelasteten Mandanten bei dessen Selbstlösung des Problems.
Dazu muss der Berater die vorhandenen Problemlösefähigkeiten des Mandanten aktivieren und dessen Handlungsmöglichkeiten erweitern. Hierzu gehört eine besondere Kunst des Fragens, worauf noch einzugehen sein wird. Die Fragetechnik dient der Realisierung der Idee, dass hinter jedem erlebten Problem ein "verborgener Wunsch" steht.
Die Fragen sind deshalb wie folgt zu adressieren:
- Werden die Fragen auf der Ebene des Problems adressiert, erhält der Frager eine differenzierte Rückmeldung zum Erleben des Problems.
- Werden die Fragen auf der Ebene der Lösung adressiert, erhält der Frager wichtige Rückmeldungen zum "verborgenen Wunsch" i.S.d. eigenen Interessen und Bedürfnisse des Mandanten.
- Werden die Fragen auf der Ebene der Ressourcen adressiert, erhält der Frager wichtige Rückmeldungen, welche Fähigkeiten und Möglichkeiten sich die problembehaftete Partei zur Veränderung der Situation zuschreibt bzw. zu welchen Veränderungen er aus eigener Initiative bereit ist.
4. Die Ebenen des Modells und ihre strategischen Fragen
Mit der Auswahl der Fragen bestimmt der Frager (hier darf der Frager dominieren) die Richtung auf die Ebenen des Modells.
Die Ebenen sind
Ebene 3: Lösung
Ebene 2: Ressource
Ebene 1: Problem
Die Verinnerlichung dieser drei Ebenen erlaubt dem Fragesteller eine strategische Gesprächsführung im Rahmen des gesamten Gesprächsprozesses.
"So ermöglicht die Erfassung, auf welcher Ebene der Befragte sich gerade befindet (diagnostischer Aspekt), den gezielten Einsatz von Fragen im Sinne einer Veränderung in Richtung auf Lösungsoptionen (Interventionsaspekt)."
a) Fragen zur Problemebene
Im Mandantengespräch wird das Problem des Mandanten durch folgende Fragestellung eruiert:
- Was genau ist das Problem Ihrer Beziehung?
- Wie äußert sich dieses Beziehungsproblem?
- Was müsste passieren, dass das Problem noch schlimmer wird? (zukunftsorientierte Frage, um im Umkehrschluss Lösungsmöglichkeiten zu kreieren)
- Seit wann erleben Sie diese Situation in Ihrer Beziehung?
b) Fragen zur Lösungsebene
Anscheinend etwas unsystematisch wird sogleich in die Lösungsebene gesprungen, um die Veränderungsmöglichkeiten und den Wunschraum der im Konflikt befindlichen Partei zu ermitteln.
- Was soll sich Ihres Erachtens in Ihrer ehelichen Beziehung ändern?
- Was würden Sie sich wünschen?
- Wie wäre es, wenn alles gut wäre und das Problem nicht mehr da wä...