I. Anlass der Untersuchung
1. Das Urteil des BGH vom 3.12.008
Der BGH vertritt im Urt. v. 3.12.2008 die Ansicht, die Vermutung, dass der Unterhalt in voller Höhe tituliert sei, gelte auch für die Jugendamtsurkunde. Entsprechend habe der Schuldner den aus seiner Sicht vollen Unterhalt in der Jugendamtsurkunde titulieren lassen. Höherer Unterhalt könne deswegen nur mit der Abänderungsklage geltend gemacht werden. Der Umfang der Abänderung der Jugendamtsurkunde richte sich allein nach dem materiellen Recht. Wenn der Jugendamtsurkunde eine Vereinbarung der Parteien zu Grunde liege, seien die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage heranzuziehen. Bei einseitiger Errichtung der Jugendamtsurkunde komme allenfalls eine Bindung des Unterhaltspflichtigen in Betracht. Ob eine solche Bindung als Folge eines Anerkenntnisses dazu führen könne, dass sich der Unterhaltspflichtige nicht frei, sondern nur bei Änderung der Verhältnisse von der Jugendamtsurkunde lösen dürfe, könne offen bleiben. Der Unterhaltsberechtigte, der an der Errichtung der Urkunde nicht mitgewirkt und deren Inhalt auch nicht zugestimmt habe, sei materiellrechtlich nicht daran gebunden und könne deshalb uneingeschränkt die Abänderung auf der Grundlage der aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse verlangen.
2. Rechtsgrundlagen
Die Entscheidung gibt Anlass, sich erneut mit der Abänderbarkeit einer Jugendamtsurkunde zu befassen. Dabei werden zusätzlich zur Rechtsgrundlage des § 323 ZPO die Bestimmungen des § 238 und des § 239 FamFG in der Fassung des FGG-RG v. 22.12.2008 – BGBl 2586 – genannt. Diese treten in Unterhaltssachen bei ab dem 1.9.2009 eingeleiteten Verfahren an die Stelle des § 323 ZPO. § 238 FamFG regelt die Abänderung gerichtlicher Entscheidungen, § 239 FamFG die Abänderung von Vergleichen und Urkunden, also auch von Jugendamtsurkunden. Die neuen Bestimmungen konkretisieren § 323 ZPO, ohne grundsätzlich die Rechtslage zu ändern. In Verfahren, die vor dem 1.9.2009 eingeleitet worden sind oder deren Einleitung bis dahin beantragt wurde, sind weiter die bisherigen Bestimmungen anzuwenden (Art. 111 FGG-RG).
II. Verfahrensrechtliche Lage
1. Bisherige Rechtsprechung
Im Urteil des BGH v. 3.12.2008 heißt es erstmals ausdrücklich, es sei auch bei Jugendamtsurkunden davon auszugehen, dass der gesamte Unterhaltsanspruch tituliert sei. Diese Ansicht hat zur Folge, dass der Gläubiger, der einen höheren Unterhalt erstrebt, eine Abänderungsklage gegen die Jugendamtsurkunde nach § 323 ZPO (§ 239 FamFG) erheben muss. Eine Erstklage nach § 258 ZPO ist als unzulässig abzuweisen. Es ergibt sich aus dem Sinn des § 323 ZPO (§ 238 oder § 239 FamFG), dass nur die Abänderungsklage der statthafte Rechtsbehelf ist, wenn der gesamte Unterhaltsanspruch tituliert ist. Das wird bei Urteilen und gerichtlichen Vergleichen vermutet und muss auch bei Jugendamtsurkunden vorausgesetzt werden. Stillschweigend hat dies der BGH im Urt. v. 29.10.2003 bejaht, auf das er in der neuen Entscheidung Bezug nimmt. Dies kann jedoch zweifelhaft sein, nachdem der Streitgegenstand durch den Antrag des Klägers bestimmt wird, also bei der Klage des Unterhaltsgläubigers durch diesen, und bei einem Vergleich der Gegenstand von beiden Vertragsparteien, also auch vom Gläubiger, festgelegt wird, während Jugendamtsurkunden einseitig vom Schuldner errichtet werden. In der neuen Entscheidung bleibt unerwähnt, dass der BGH bis in jüngster Zeit die Ansicht vertreten hat, der Gläubiger einer Jugendamtsurkunde könne, wenn keine Vereinbarung über den Gesamtunterhalt vorliege, zwischen Erstklage und Abänderungsklage wählen.
Der BGH begründet seine neue Auffassung damit, dass der Schuldner aus seiner Sicht den vollen Unterhalt habe titulieren lassen. Vom Standpunkt des Gläubigers aus kann sich dies aber anders darstellen. Tatsächlich hatte dieser, wie dem Berufungsurteil zu entnehmen ist, eine "Titelergänzungsklage" mit dem Antrag erhoben, über den in der Jugendamtsurkunde titulierten Betrag hinaus einen weiteren Unterhalt zu zahlen. Die Formulierung des Antrags des Klägers war auf eine Zusatzklage (Teilklage) nach § 258 ZPO gerichtet. Entweder wurde der Antrag umgestellt oder in ein Abänderungsbegehren nach § 323 ZPO umgedeutet (entspr. § 140 BGB).