Eine tatsächlich ausgeübte Berufstätigkeit wird von der Rechtsprechung auch weiterhin zunächst als Indiz dafür angesehen, dass eine Verträglichkeit mit der Kindesbetreuung anzunehmen ist. Dieser Anschein kann aber erschüttert werden; so wurde in der Entscheidung E 11 der Schichtdienst als Krankenschwester i.V.m. den langen Fahrzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als ausreichender Grund angesehen, über den halbschichtigen Umfang hinaus keine weitere Erwerbsobliegenheit anzunehmen. Auch dann, wenn die erweitere Berufstätigkeit nur auf Grund einer Unterstützung von Seiten der Großeltern bei der Kindesbetreuung möglich ist, kann die ausgeübte Tätigkeit teilweise überobligatorisch sein, wie sich aus der Entscheidung des BGH vom 17.6.2009 und der Flugbegleiterin-Entscheidung E 10 ergibt. In beiden Fällen wurden auf Seiten der Großeltern freiwillige Leistungen angenommen, welche die Belastung der Tochter mindern, nicht aber den Unterhaltsschuldner von seiner Unterhaltspflicht befreien.
In seiner Entscheidung vom 17.6.2009 betont der BGH, dass eine Drittbetreuungsmöglichkeit durch die Eltern der Kindesmutter irrelevant ist, weil diese freiwilligen Leistungen den Unterhaltsschuldner nicht entlasten sollen. Dem entspricht in der Instanzrechtsprechung die Argumentation in der Entscheidung E 10.
Dieser Ansatz ermöglicht zwei Varianten der rechtlichen Beurteilung:
- Entweder man sieht die Tätigkeit der Kindesmutter nicht als überobligatorisch an. Dann kann diese den (fiktiven) Wert der Drittbetreuungsleistungen als berufsbedingten Aufwand absetzen;
- oder die – maßgeblich durch die kostenlose Drittbetreuung ermöglichte – Erwerbstätigkeit der Kindesmutter wird als überobligatorisch angesehen, das entsprechend erzielte Einkommen wird nach Billigkeit gem. § 1577 Abs. 2 BGB berücksichtigt.
Der BGH wählt die zweite Variante und bestätigt damit das Berufungsgericht, welches das überobligatorische Einkommen vollständig unberücksichtigt gelassen hatte. Dieses Ergebnis, das den Unterhaltsschuldner durch die Drittbetreuung auf Seiten der Kindesmutter nicht entlastet, erscheint wenig überzeugend. Schon dogmatisch spricht mehr für die erste Variante, weil nach § 1570 BGB "die bestehenden Möglichkeiten der Kindesbetreuung zu berücksichtigen" sind. Unabhängig hiervon legt aber auch der Gesichtspunkt des Rechtsfriedens eher die erste Variante nahe. Emotional wird der Kindesvater die Ignorierung der tatsächlichen Verhältnisse – es wird ja so getan, als wäre der tatsächlich erzielte (Mehr-) Verdienst der Kindesmutter nicht vorhanden – als "Komplott" von geschiedener Ehefrau und früheren Schwiegereltern empfinden; erschwerend kommt noch hinzu, dass die Großeltern die Kindesbetreuung oft sogar gern übernehmen.