Inge Saathoff
Mit seiner Entscheidung vom 30.3.2011 (XII ZR 3/09) hat der BGH erneut klargestellt, dass im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über die Verlängerung des Betreuungsunterhaltes aus kindbezogenen Gründen nach § 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB stets am individuellen Fall zu prüfen sei, ob und in welchem Umfang die Kindesbetreuung auf andere Weise gesichert ist oder in kindgerechten Betreuungseinrichtungen gesichert werden könnte. Ein Altersphasenmodell, welches bei der Frage der Verlängerung des Betreuungsunterhaltes aus kindbezogenen Gründen allein oder wesentlich auf das Alter des Kindes abstellt, werde dem hingegen nicht gerecht.
Betrachtet man allerdings, in welcher Zusammenfassung sich die Entscheidung in der Presse wiederfindet, so findet man Schlagzeilen wie beispielsweise "Mutter eines neunjährigen Kindes ist verpflichtet, einer Ganztagstätigkeit nachzugehen, wenn im Hort eine werktägliche Betreuung bis 17:00 Uhr zur Verfügung steht". Eine derartige Wiedergabe ist offensichtlich dem Bedürfnis der Betroffenen, ganz egal ob unterhaltsberechtigt oder -verpflichtet, geschuldet, eine klare Antwort auf die Frage erhalten zu wollen, wann und in welchem Umfang eine Erwerbstätigkeit erwartet werden kann. Und so stehen nach der Veröffentlichung solcher Schlagzeilen Mandanten mit eben diesem Zeitungsausschnitt vor dem Anwalt und erwarten die Übertragung der Inhalte auf den eigenen Fall.
Ob dies erfolgreich gelingt, ist entscheidend abhängig davon, ob dieser Mandant z.B. in Brandenburg seinen Anwalt aufsucht oder aber z.B. in Niedersachsen. Für den Mandanten in Brandenburg wäre die Entscheidung des BGH vermutlich noch nicht einmal eine interessante, wegweisende Erkenntnis. Eine Überprüfung der individuellen Gegebenheiten bei dem in Niedersachsen lebenden Mandanten würde jedoch voraussichtlich zu Tage fördern, dass die Betreuungsmöglichkeiten vor Ort noch gar nicht entsprechend ausgestattet sind, zum einen, weil die Zahl der zur Verfügung stehenden Hortplätze oft nicht ausreicht oder auch weil die Betreuungszeiten teilweise nur bis 16:00 Uhr oder 15:45 Uhr andauern. Zum anderen verhindern oftmals starre Anmeldefristen, dass nicht zu jedem Zeitpunkt eine Aufnahme eines Kindes in einem Hort möglich ist, so dass auch ein "Seiteneinstieg" mangels ausreichender Plätze nur selten in Betracht kommt. Dies trifft natürlich nicht nur den Unterhaltspflichtigen, der nicht auf ein entsprechendes Betreuungsangebot verweisen und eine umfangreichere Erwerbstätigkeit erwarten kann, sondern ebenso den betreuenden Elternteil, der arbeiten möchte, hierfür jedoch nicht die nötige Entlastung erhält. Letzterer wird es bei Betreuung von Kindern unter drei Jahren oftmals nur als geringen Trost empfinden, dass eine Obliegenheit zur Arbeitsaufnahme noch nicht besteht, wenn dennoch aus wirtschaftlichen Zwängen heraus gearbeitet werden muss, zumal das Betreuungsangebot in diesen Bereichen noch schlechter ausgestaltet ist.
Die politischen Annahmen, welche den gesetzgeberischen Überlegungen im Bereich der Erwerbsobliegenheiten zugrunde gelegen haben, sind bis heute, knapp drei Jahre nach dem Inkrafttreten der Reform, mit der politischen Wirklichkeit noch nicht gleichgezogen. Aus meiner Sicht ist gerade dies ein Grund dafür, warum unsere Beratungstätigkeit erschwert wird. Es ist nicht die Tatsache, dass wir kein – wie auch immer modifiziertes – Altersphasenmodell zur Beratung heranziehen können, sondern vielmehr der Umstand, dass wir bei Aufbereitung der reinen Tatsachen des Einzelfalles immer wieder prüfen müssen, welches Betreuungsangebot in der jeweiligen Region zur Verfügung steht. Es wäre bereits eine Erleichterung, wenn das Vorhandensein dieser Betreuungsmöglichkeiten bundesweit als gegeben angesehen werden könnte, um sich dann mit den wirklich individuellen Einzelheiten des Falles auseinander setzen zu können, welche uns immer noch ausreichend beschäftigt halten.
Inge Saathoff, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, Oldenburg