Die Entscheidung mag im ersten Moment überraschen, denn der BGH hat bekanntlich seine frühere Rechtsprechung, wonach Kinderbetreuungskosten mit dem Tabellenbedarf abgegolten waren, schon 2008 aufgegeben. Seitdem können Kindergartenbeiträge bzw. vergleichbare Aufwendungen – mit Ausnahme des Verpflegungsanteils – Mehrbedarf sein, und zwar unabhängig vom zeitlichen Umfang der dortigen Fremdbetreuung. Das gilt aber keineswegs generell. Weil im Residenzmodell einem Elternteil die Betreuung obliegt, können Kosten der Fremdbetreuung nur ausnahmsweise Mehrbedarf sein, wenn nämlich die Fremdbetreuung erzieherisch bzw. pädagogisch bedingt ist. Und: Soweit die Betreuungskosten allein infolge der Berufstätigkeit des betreuenden Elternteils anfallen, handelt es sich nicht um (Mehr)Bedarf des Kindes, sondern "nur" um berufsbedingte Aufwendungen dieses Elternteils. Diese Unterscheidung findet sich auch in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte, die teilweise schon vor 2008 einen Zusatzbedarf des Kindes angenommen hatten. Offen ist noch, ob diese grundsätzliche Unterscheidung bei allen Kinderbetreuungsformen gleichermaßen gilt (Kindertagesstätte, Kindergarten, Hort, Tagesmutter, Babysitter, Au-Pair, Mittagsbetreuung, Großeltern, usw.), denn seit der Neufassung des Anspruches auf Betreuungsunterhalt wird oftmals die Ermöglichung der Berufstätigkeit des Elternteils im Vordergrund stehen. Der betreuende Elternteil muss also vortragen, aus welchen Gründen die Fremdbetreuung erfolgt – vor allem dann, wenn ihn eine Erwerbsobliegenheit trifft und er über Einkommen verfügt. Im Fall des AG Pforzheim war die Betreuung der Kinder im Hort allein aufgrund der Berufstätigkeit der Kindesmutter erforderlich. Ob im Hort tatsächlich eine pädagogische Betreuung erfolgt und erforderlich ist, hatte die Kindesmutter nicht vorgetragen. In einem ähnlichen Fall kam unlängst das AG Karlsruhe zum gleichen Ergebnis. Vereinzelt kann eine Elternvereinbarung vorliegen. Haben die Eltern nach der Trennung bereits vereinbart, dass das Kind eine Betreuungseinrichtung besucht und diese Kosten ausdrücklich oder konkludent im Innenverhältnis aufgeteilt, dürfte § 426 Abs. 2 BGB greifen. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob die Zustimmung zum Besuch der Einrichtung nur eine sorgerechtliche Regelung ist, oder ob sie auf das Unterhaltsrecht ausstrahlt. Vereinbarungen, die während des Zusammenlebens der Eltern getroffen wurden, sind wohl eher Ausgestaltungen des Familienunterhalts (§ 1630 BGB), die nach der Trennung nicht mehr gelten.
Ohne Elternvereinbarung schuldet der barunterhaltspflichtige Elternteil beim Residenzmodell Kinderbetreuungskosten anteilig als Mehrbedarf, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
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Die Fremdbetreuung ist pädagogisch bedingt, d.h. das Kind hat z.B. während des Hortbesuchs einen überdurchschnittlichen Bedarf an pädagogischer Förderung. Solange den betreuenden Elternteil noch keine Erwerbsobliegenheit trifft, wird er regelmäßig die ihm obliegende Betreuung selbst leisten können. Hier wird, um die finanzielle Doppelbelastung des anderen Elternteils (Betreuungsunterhalt) zu vermeiden, Mehrbedarf nur ausnahmsweise anzuerkennen sein, wenn das Kind nachweislich einen pädagogischen Förderbedarf hat – etwa bei bildungsfernen Alleinerziehenden oder Familien mit besonderem Förderbedarf in der deutschen Sprache. |
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Die Fremdbetreuung ist überwiegend pädagogischer Natur, d.h. eine bloße Begleitung beim Mittagessen oder Beaufsichtigung bei Hausaufgaben (in Eigeninitiative von Eltern oder Oberstufenschülern) dürfte nicht reichen. |
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Die Fremdbetreuung ist zumindest nicht allein infolge der Berufstätigkeit des betreuenden Elternteils erforderlich. Gegebenenfalls erfolgt eine Aufteilung der Kosten in berufsbedingte Aufwendungen einerseits und (im Übrigen) als Mehrbedarf andererseits. |
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Der barunterhaltspflichtige Elternteil ist für den Mehrbedarf leistungsfähig. Vor Berechnung des Haftungsanteils muss bekanntlich ein Sockelbetrag i.H.d. angemessenen Selbstbehalts (derzeit 1.300 EUR) abgezogen werden. |
Dirk Vollmer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht, Karlsruhe
FF 6/2019, S. 255 - 259