a) Beachtung von Metazielen im Abstammungsrecht
Wenn man nach den Zielen einer abstammungsrechtlichen Reform fragt, stellen sich zunächst viele konkrete Sachfragen. Sollte die Bedeutung des genetischen Faktors der Abstammung bei der Vaterschaft gestärkt werden? Oder wäre es richtiger, die Bereitschaft zur sozialen Verantwortungsübernahme mehr in den Vordergrund zu rücken? Sollte es weiterhin für ein Kind höchstens zwei Elternteile geben können? Sollte die gleichgeschlechtliche Elternschaft gestärkt werden?
Bei der Beantwortung dieser Einzelfragen ist man aber nicht völlig frei. Man sollte sich vielmehr vorab klarmachen, welche generellen Leitgedanken das Abstammungsrecht prägen müssen. Dabei geht es weniger um rechtspolitische Richtungsweisung, als um unverbrüchliche Vorgaben der Rechtsordnung als Ganzer. In diesem Rahmen drängen sich zwei ganz wichtige Punkte auf.
b) Wohl des Kindes
Wesentlicher Leitfaden auch des Abstammungsrechts sollte zunächst stets das Wohl des Kindes sein, welches auch grundrechtlich geschützt ist. Zwar wird häufig gesagt, dass das Abstammungsrecht das Kindeswohl gerade nicht zu berücksichtigen habe. Diese beiden Aussagen stehen, näher betrachtet, nicht in einem Widerspruch, sondern sie meinen nur jeweils andere Fragestellungen. Insofern sind sie beide richtig. Die zweite Aussage bezieht sich nämlich nicht auf das Abstammungsrecht als solches, sondern auf die Betrachtung des Wohls des individuellen Kindes bei der Bestimmung seiner Abstammung. Eine solche erfolgt – zumindest in aller Regel – nicht. Im Abstammungsrecht geht es in der Tat, anders als im Sorgerecht, nicht um das Wohl des konkreten Kindes im Verhältnis zu bestimmten Elternpersönlichkeiten. Die Regelungen sind abstrakt.
Tritt man jedoch einen Schritt zurück und bezieht sich auf die gesetzlichen Regelungen in ihrer Gesamtheit und ihrer Zielrichtung, so besteht Einigkeit darüber, dass diese allein den Zweck haben können, eine möglichst stabile Zuordnung des Kindes zu seinen Eltern zu begründen, um dem Kind ein wirtschaftlich und sozial sicheres Aufwachsen zu ermöglichen. Diese Ausrichtung auf das Ziel, stabile rechtliche Beziehungen für das Kind zu schaffen, fokussiert also – und das dürfte unstreitig sein – das Kindeswohl.
Daran muss sich auch eine Modernisierung des Abstammungsrechts also stets orientieren.
c) Eltern- und Familienrechte aus Art. 6 GG
Nun sollte man noch einen zweiten grundlegenden Aspekt berücksichtigen, nämlich die Bindung des Gesetzgebers durch Art. 6 GG. Zwar bieten Art. 6 Abs. 1 und 2 GG dem Gesetzgeber erheblichen Spielraum bei der Ausgestaltung des privaten Familienrechts. In gewissem Maße bestimmt sogar das einfache Recht überhaupt erst, wer durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützt ist. Doch kann das nicht ausnahmslos gelten. Nach wohl allgemeiner Ansicht besteht ein durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützter Kernbereich, der nicht zur Disposition des einfachrechtlichen Gesetzgebers steht. Der Freiraum für einfachrechtliche Regelungen über die Abstammung ist also dadurch eingeschränkt, dass die autonom bestehenden Grundrechtspositionen der potentiellen rechtlichen Eltern beachtet werden müssen. Die schon oben erwähnten Regelungen, die bei der Auswahl der rechtlichen Eltern auf das konkrete Kindeswohl oder die individuelle Elterneignung abstellen würden, wären mit Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG nicht vereinbar. Denn das grundrechtliche Elternrecht besteht unabhängig von der Erziehungsfähigkeit der Eltern.
Einig ist man sich heute außerdem darüber, dass Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG nicht verlangt, in jedem Fall auf die genetische Verwandtschaft abzustellen. Das mag vielleicht überraschen, da damit staatlicher Einmischung doch zumindest potentiell die Tür geöffnet wird. In der Tat darf die genetische Verwandtschaft auch keinesfalls einfach übergangen werden, wie unten näher gezeigt werden wird (insbesondere II. 3.). Dass sie sich nicht immer durchsetzt, liegt aber daran, dass unterschiedliche Grundrechtspositionen zu berücksichtigen sind. Insbesondere verbietet der Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG, dass eine bestehende soziale Familie ohne Rechtfertigung auseinandergerissen wird. Und in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG selbst wird das (nun wieder abstrakte) Kindeswohl, das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG geschützt ist, schon mit hineingelesen. Die genetische Abstammung kann daher zurückgedrängt werden, wenn in der abstrakten Situation die Elternstellung des genetischen Elternteils für das Kind nicht günstig ist, oder wenn andere Grundrechtspositionen überwiegen. ...