1. Vorüberlegungen

Im Laufe der vorstehenden Erwägungen hat sich bereits aufgedrängt, dass es oftmals richtiger wäre, mehr als zwei Personen mit Elternrechten zu versehen. Damit könnte die günstige Lage, in der sich ein Kind befindet, für welches mehr als zwei Personen elterliche Verantwortung übernehmen möchten, im Abstammungsrecht abgebildet werden. Selbstverständlich darf es dabei nicht darum gehen, das Kind wie einen Kuchen zwischen den potentiellen Eltern "gerecht" zu verteilen. Gefragt werden muss, ob die Elternstellung zum Nutzen des Kindes und zugleich zur Berücksichtigung der Wünsche des genetischen Vaters und des rechtlich-sozialen Elternteils (Vater oder Mit-Mutter) segmentiert werden könnte.

In der Mehrzahl der soeben behandelten Fälle dürfte dies den Interessen der Beteiligten entsprechen. Denn nur selten wird es dem genetischen Vater darum gehen, dem Kind die wichtige Bezugsperson zu nehmen, die es in dem sozialen Vater oder zur sozialen Mit-Mutter hat. Er möchte vielmehr seine eigene verwandtschaftliche Beziehung zu dem Kind vom Recht anerkannt wissen.

Ebenso selten wird es den rechtlichen Eltern darum gehen, das Kind vollständig getrennt von seinem genetischen Vater zu halten. Denn wie sich anhand der Zahlen zur Ausübung der Sorge nach Ehescheidungen zeigt, sind die meisten Eltern willens und in der Lage, auch nach der Trennung das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt zu stellen und kooperativ zu agieren.[48]

[48] Bei 97 % der Scheidungen des Jahres 2016 (bei denen minderjährige Kinder betroffen waren) blieb das Sorgerecht bei beiden Elternteilen; Statistisches Bundesamt (Destatis) Datenreport 2018, Kapitel 2: Familie, Lebensformen und Kinder, S. 58.

2. Kumulative Elternschaft

Die kumulative (oder gleichzeitige) Elternschaft von mehr als zwei Personen eignet sich insbesondere für solche Familien, in denen sich mehr als zwei Erwachsene einvernehmlich für das Kind verantwortlich fühlen. Das kann besonders vorkommen, wenn ein lesbisches Paar eine private Samenspende von einem Freund erhält. Lebt dieser ebenfalls in einer Partnerschaft, so können alle vier Personen elterliche Gefühle gegenüber dem Kind haben.

Es geht hierbei nicht – oder jedenfalls in der Regel nicht – um gleichstufiges Nebeneinander von mehreren Vätern bzw. Müttern. Vielmehr wird der genetische Vater (Becherspender), der neben einen aktiven rechtlichen Vater oder eine aktive rechtliche Mit-Mutter tritt, eine gewissermaßen subsidiäre abstammungsrechtliche Stellung erhalten wollen. Bei der Ausgestaltung einer solchen neuen abstammungsrechtlichen Position müssten die Folgeprobleme präzise geklärt werden. Man muss genau überlegen, welcher Elternteil ein Sorgerecht haben sollte, und es wäre vielleicht auch problematisch das Kind mit potentiellen Elternunterhaltspflichten für vier Personen zu belasten.[49]

Gerade weil die Öffnung für mehr als zwei Personen keine unmittelbare Klärung der Folgefragen mit sich bringt, wird gelegentlich vertreten, das Abstammungsrecht sei nicht der richtige Ort zur Verankerung der Mehrelternschaft. Eher solle die Abstammung auf zwei Personen beschränkt bleiben und dafür sollen die einzelnen Folgefragen, insbesondere Sorge und Umgang, deutlicher von der Abstammung getrennt und in geeigneten Fällen auf mehr als zwei Personen verteilt werden.[50] Sieht man auf das Ziel, Verbindlichkeit und Stabilität für das Kind zu erreichen, so erscheint es jedoch sicherer und damit besser, im Abstammungsrecht anzuknüpfen.

[49] Dazu bereits Heiderhoff, Herausforderungen durch neue Familienformen – Zeit für ein Umdenken, NJW 2016, 2629, 2632; die mehrfache Unterhaltsbelastung des Kindes für gerechtfertigt haltend; Plettenberg, Vater, Vater, Mutter, Kind – Ein Plädoyer für die rechtliche Mehrvaterschaft, 2016, S. 129 f.; Sanders, Mehrelternschaft, 2018, S. 426.
[50] Hierfür Helms, Wie viele Eltern verträgt ein Kind? Mehrelternfamilien aus rechtlicher Sicht, in: FS Coester – Moderne Familienformen, 2019, S. 125, 128.

3. Sukzessive Elternschaft

In bestimmten Fällen lässt sich statt einer kumulativen eher an eine sukzessive Elternstellung denken. Dann würde die Elternstellung – so wie es auch bei der Adoption bekannt ist – im Laufe des Lebens des Kindes wechseln können. Natürlich darf das nicht ohne weiteres geschehen. Im Gegenteil muss es auf ganz bestimmte Sachverhalte beschränkt sein. Vor allem in den Fällen der Anfechtung, bei der das Kind schon älter ist, kann diese Lösung aber sehr hilfreich sein. Wenn ein rechtlicher Vater erst spät von der fehlenden genetischen Verwandtschaft erfährt und daher zu einem Zeitpunkt anficht, zu dem er bereits viele Jahre als Vater des Kindes mit diesem zusammengelebt hat, entsteht auf jeden Fall ein tragischer Bruch. Das Recht sollte nun nicht – wie derzeit – diese schlimme Situation noch verstärken, sondern es sollte eher eine Brücke für eine möglichst schonende Korrektur errichten. Die auch in der Reform weiterhin vorgesehene Konstruktion der Anfechtung mit ihrer Rückwirkung ab Geburt wirkt viel absoluter als die tatsächlichen Verhältnisse es erfordern. Eine bloße Beend...

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