1. Zweck einer Strukturierung
Die Strukturierung von Gerichtsverfahren wird mit verschiedenen Ansätzen verfolgt. Sie alle haben das Ziel der raschen, effizienten und vollständigen Klärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Nicht entscheidungserheblicher Sachverhalt soll schnell als solcher identifiziert werden. Bei unvollständigem Vortrag soll zeitig eine Ergänzung angemahnt werden. Der gesamte Vortrag zu einem Gesichtspunkt, der bisher in Antragsschrift, Erwiderung, Replik und Duplik in der Papierakte "verstreut" ist, soll optisch zusammengeführt werden. Strukturierungs- und Sortierungsarbeiten, die Rechtsanwälte und Richter bisher jeweils nur für sich selbst durchführen, werden gemeinsam geleistet. Der strukturierte Vortrag soll den bisherigen Urteilstatbestand zu einem großen Teil ersetzen.
2. Verschiedene Ansätze einer Strukturierung
Vorwerk hat in einem umfassenden Ansatz einen konkreten Regelungsvorschlag zur Strukturierung in Form von ausformulierten ZPO-Vorschriften unterbreitet, nach denen das Gericht die Strukturierung definiert und einfordert.
Gaier verfolgt einen engeren Ansatz, wonach die Klagepartei eine bestimmte Anspruchsgrundlage heranzieht und zu den einzelnen Tatbestandmerkmalen vorträgt.
Der Ansatz von Köbler ist zwar nicht umfassend, aber auch nicht auf eine einzelne Anspruchsgrundlage beschränkt. Köblers Vorschlag orientiert sich an Lebenslagen und nimmt typische und häufig vorkommende Klagesituationen in den Blick. Er benennt als Beispiele die fristlose Kündigung wegen ausbleibender Mietzinszahlung sowie die Schadensersatzklage wegen eines Verkehrsunfalls und empfiehlt, für solche häufig vorkommende Standardfälle Formulare anzubieten oder vorzuschreiben.
Greger vereint die Ansätze bereits in dem Vorschlag einer universell einsetzbaren Maske und daneben Muster für Standardverfahren (z.B. Verkehrsunfall-, Mietrückstands- oder Gewährleistungsfälle).
Jeder dieser Ansätze – es soll hier keine umfassende Darstellung der Diskussion und ihrer mittlerweile langjährigen Geschichte erfolgen – hat seine Berechtigung. Bedenkt man die Vielgestaltigkeit zivilrechtlicher Sachverhalte, können nur die von Vorwerk proklamierten allgemein gehaltenen Strukturierungsvorgaben alle Lebenslagen bzw. Zivilrechtsthemen abdecken. Das Maß der Strukturierung wird jedoch erhöht, wenn, wie von Gaier vorgeschlagen, die einzelne Anspruchsgrundlage mit ihren Tatbestandsmerkmalen in den Mittelpunkt gerückt wird, was jedoch die praktische Umsetzung erschwert, weil es den Lebenssachverhalt bereits eingrenzt bzw. verdichtet. Im Bereich des Familienrechts, in dem Standardfälle (Unterhalt und Zugewinn) breiten Raum einnehmen, erscheinen die Ansätze von Köbler und Greger besonders gewinnbringend.
3. Der Beginn der Umsetzung
Im Diskussionspapier (2020) der Arbeitsgruppe "Modernisierung des Zivilprozesses", die im Auftrag der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichthofs tätig ist, wird Folgendes empfohlen:
Zitat
"Strukturierung des Parteivortrags und des Verfahrens"
Der Parteivortrag im Zivilprozess sollte unter den Bedingungen elektronischer Aktenführung in einem gemeinsamen elektronischen Dokument ("Basisdokument") abgebildet werden. … Die Gestaltung und die technischen Voraussetzungen für die Bearbeitung der Vorlage für das Basisdokument werden durch Gesetz oder Verordnung festgelegt (C.I.4).
Das Basisdokument umfasst das vollständige Parteivorbringen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einschließlich der Sachanträge. Der Kläger- und Beklagtenvortrag zum Lebenssachverhalt wird im Sinne einer Relationstabelle nebeneinander dargestellt. Er ist nach einzelnen Lebenssachverhaltselementen – i.d.R. chronologisch – und nicht nach Anspruchsgrundlagen gegliedert. Ergänzungen des Vortrags durch die Parteien werden unter Kennzeichnung der Nachträglichkeit an der sachlich passenden Stelle eingefügt (C.I.5).
Das Gericht überwacht die zutreffende Einordnung des Lebenssachverhalts in die Relationstabelle und gibt rechtzeitig Hinweise zur sachgerechten Strukturierung des Vortrags in Teilabschnitten; nur ausnahmsweise greift es selbst in die Struktur ein (C.I.6).
Der im Basisdokument enthaltene wechselseitige Sachvortrag wird im Laufe des Verfahrens durch Erklärung der Parteien oder mit Schluss der mündlichen Verhandlung verbindlich. Er bildet die Entscheidungsgrundlage und übe...