BGB § 2287 analog
Leitsatz
1. Die Einsetzung der Schlusserben auf den "Überrest" hat grundsätzlich den Ausschluss des § 2287 BGB zur Folge.
2. Jedenfalls ist bei der Einsetzung auf den Überrest in einem notariellen gemeinschaftlichen Testament bei einem erheblichen Altersunterschied der Testierenden von einem Ausschluss des § 2287 BGB auszugehen.
3. Bei einer Formulierung "was von unserem beiderseitigen Nachlass noch vorhanden ist" ist ein Ausschluss des § 2287 BGB zumindest für das Vermögen anzunehmen, welches der Letztversterbende nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten hinzuerwirbt.
OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.12.2021 – 10 U 225/19 (LG Frankfurt/M.)
Aus den Gründen
Gründe: [1] Die Klägerin begehrt die Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstück aus § 2287 BGB (analog).
[2] Mit gemeinschaftlichem notariellen Testament vom 29.12.1958 setzten sich die Mutter der Klägerin (nachfolgend: Erblasserin) und deren 17 Jahre älterer erster Ehemann gegenseitig zu Alleinerben ein. Die gemeinsamen Kinder der Testierenden, die Klägerin und ihr Bruder (der Vater der Beklagten), wurden als Erben auf das Ableben des Längstlebenden eingesetzt. Im Testament heißt es dazu:
"Wir setzen uns gegenseitig zu unserem alleinigen Erben ein. Dasjenige, was von unserem beiderseitigen Nachlass nach dem Tode des Längstlebenden noch vorhanden ist, soll an unsere oben zur Ziffer 2) und 3) genannten beiden Kinder, untereinander zu gleichen Teilen, anfallen."
[3] Bei dem unter Ziffer 2) genannten Kind handelt es sich um den Sohn (den Vater der Beklagten) und bei dem unter Ziffer 3) genannten Kind um die Tochter (die Klägerin). Das zudem unter Ziffer 1) aufgeführte Kind war zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung bereits verstorben.
[4] Der erste Ehegatte der Erblasserin verstarb am 10.11.1982. Die Erblasserin heiratete ihren zweiten Ehemann, der am 20.4.1995 verstarb. Aufgrund eines Testaments des zweiten Ehemanns vom 12.11.1988 wurde die Erblasserin auch dessen Alleinerbin. Teil des Nachlasses war das streitgegenständliche Grundstück, eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts Frankfurt am Main …
[5] Dieses Grundstück übertrug die Erblasserin mit notariellem Vertrag vom 9.12.2013 an die Beklagte, die Nichte der Klägerin, zu Alleineigentum. In Ziffer 2 Abs. 2 des Vertrages wurde festgehalten, dass die Beklagte die Pflicht übernimmt, "die Veräußererpartei im Krankheitsfall und im Alter zu pflegen, soweit sie dazu körperlich und beruflich in der Lage ist und hierzu keine Spezialkräfte erforderlich sind." Zudem wurden lebenslange Nießbrauchsrechte für die Erblasserin und vereinbart. Zu den Einzelheiten wird auf die notarielle Urkunde verwiesen. Die Beklagte wurde am 29.8.2014 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.
[6] Der Bruder der Klägerin und Vater der Beklagten verstarb am 5.6.2016. Er wurde von seiner Ehefrau und seinen Kindern, der Beklagten und deren Bruder, beerbt.
[7] Die Erblasserin verstarb am 4.10.2017. Das Amtsgericht Frankfurt am Main – Nachlassgericht – erteilte einen gemeinschaftlichen Erbschein, der die Klägerin mit einem Anteil zu ½ sowie die Beklagte und deren Bruder als Nachkommen des … zu einem Anteil von je ¼ als Erben ausweist.
[8] Die Klägerin ist der Auffassung, sie habe als Schlusserbin gegen die Beklagte einen Anspruch analog § 2287 BGB auf Einräumung eines hälftigen Miteigentumsanteils an dem Grundstück in Frankfurt. Diesen Anspruch verfolgt sie mit der Klage. Das Grundstück sei – so die Klägerin zur Begründung – von der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments vom 29.12.1958 umfasst. Die Erblasserin habe der Beklagten das Grundstück ohne lebzeitiges Eigeninteresse in Benachteiligungsabsicht geschenkt.
[9] Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Grundstück in Frankfurt sei von der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments vom 29.12.1958 nicht umfasst. Nach dem im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu ermittelnden übereinstimmenden Willen der Testierenden lägen keine Anhaltspunkte vor, dass der erhebliche Vermögenszuwachs, den die Erblasserin infolge des Ablebens ihres zweiten Ehegattens nachträglich erhalten hat, zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vorhergesehen und bedacht worden sei. Ein hypothetischer Wille der Testierenden, auch solches aus der Erbeinsetzung durch einen zukünftigen zweiten Ehemann der Erblasserin stammendes Vermögen solle in jedem Fall den Kindern zugutekommen, sei eher fernliegend. Es liege im Gegenteil nahe, dass die Testierenden, hätten sie diesen Umstand vorhergesehen, der Erblasserin die Befugnis eingeräumt hätten, in Abänderung der Schlusserbeneinsetzung jedenfalls über diesen Vermögensanteil anderweitig zu verfügen. Nichts Anderes ergebe sich aus dem Wortlaut des gemeinschaftlichen Testaments. Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz, der vom Landgericht festgestellten Tatsachen sowie der Begründung im Einzelnen wird auf die Gründe des Urteils vom 9.9.2019 verwiesen.
[10] Gegen das am 20.9.2019...