Für die Anerkennung von Scheidungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks gelten vorrangig zum nationalen Recht die Anerkennungsvorschriften der Brüssel IIa-VO (dazu unter I.), die mit Wirkung zum 1.8.2022 von der Brüssel IIb-VO abgelöst wird (dazu unter II.).
I. Die Rechtslage unter Geltung der Brüssel IIa-VO
Wie bereits geschildert, werden Scheidungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten gem. Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO automatisch, also inzident und ohne besonderes Verfahren, anerkannt. Nationale Anerkennungsverfahren – etwa nach § 107 FamFG – sind gesperrt. Für die Anerkennung muss lediglich eine Bescheinigung nach Art. 39 Brüssel IIa-VO vorgelegt werden, die im Ursprungsmitgliedstaat ausgestellt wird. Die um Anerkennung ersuchte Stelle prüft dann nur die Anerkennungsversagungsgründe aus Art. 22 Brüssel IIa-VO, darf aber weder überprüfen, ob der Ursprungsmitgliedstaat für die Scheidung zuständig war (Art. 24 Brüssel IIa-VO), noch eine Nachprüfung der Scheidung in der Sache vornehmen (Art. 26 Brüssel IIa-VO). Ob von dieser großzügigen verfahrensrechtlichen Anerkennung auch die neuen mitgliedstaatlichen Vertragsscheidungsformen erfasst sind, ist allerdings hoch umstritten.
1. Das EuGH-Urteil in Sahyouni/Mamisch und der Meinungsstand im Schrifttum
Der EuGH hat die Frage bislang nicht abschließend beantwortet. In seiner berühmten Sahyouni-Entscheidung befasste er sich mit einer im Drittstaat Syrien durchgeführten talq-Scheidung, die er nicht vom Anwendungsbereich der Rom III-VO erfasst sah. Allerdings argumentierte er an verschiedenen Stellen mit dem parallelen Anwendungsbereich von Rom III-VO und Brüssel IIa-VO, die beide keine Privatscheidungen erfassten. Auch angesichts der Einführung außergerichtlicher Scheidungsformen im Recht mehrerer EU-Mitgliedstaaten seien "für die Einbeziehung von Privatscheidungen in den Anwendungsbereich dieser Verordnung[en] Änderungen erforderlich, für die allein der Unionsgesetzgeber zuständig ist."
Daraus folgert ein Teil des Schrifttums, dass die meisten der neuen mitgliedstaatlichen Vertragsscheidungsformen nicht von der Brüssel IIa-VO erfasst seien. "Entscheidungen" i.S.v. Art. 21 Brüssel IIa-VO setzten voraus, dass ein Gericht oder eine Behörde nach Prüfung der materiellen Scheidungsvoraussetzungen eine Gestaltungsentscheidung trifft, was man lediglich bei der italienischen Scheidung mit inhaltlicher Prüfung durch den Staatsanwalt und der spanischen Rechtspflegerscheidung bejahen könne. Für die übrigen Vertragsscheidungsformen hätte das zur Folge, dass das nationale Anerkennungsrecht zum Zuge käme. In Deutschland würden mitgliedstaatliche Vertragsscheidungen also genau wie drittstaatliche Privatscheidungen einer materiellrechtlichen Wirksamkeitskontrolle im Anerkennungsverfahren des § 107 FamFG unterworfen. Bei deutschem Scheidungsstatut würde § 1564 S. 1 BGB das Schicksal der Scheidung besiegeln.
Dagegen stützt sich ein anderer Teil des Schrifttums auf die Schlussausführungen des EuGH in Sahyouni, wonach das EU-Recht nur solche Scheidungen erfasst, die "von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde bzw. unter deren Kontrolle ausgesprochen werden." Daraus könnte man ableiten, dass der EuGH zwar Privatscheidungen aus dem Anwendungsbereich des europäischen Verordnungsrechts verbannt, dafür aber den Entscheidungsbegriff der Brüssel IIa-VO weit ausgelegt hat: Danach liegt keine Privatscheidung vor, wenn die Scheidung zumindest unter der Kontrolle einer staatlichen Stelle ausgesprochen wurde. Auf diese Weise könnte man also alle Scheidungen, an denen eine mitgliedstaatliche Behörde in irgendeiner Weise mitgewirkt hat, unter den Anwendungsbereich der Verordnung fassen.
Ein dritter Vorschlag möchte schließlich Vertragsscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten nicht über Art. 21, sondern über Art. 46 Brüssel IIa-VO anerkennen. Danach können in einem Mitgliedstaat vollstreckbare öffentliche Urkunden und Parteivereinbarungen in anderen Mitgliedstaaten unter denselben Bedingungen wie Entscheidungen vollstreckt werden. Allerdings erfasst der Wortlaut der Vorschrift eigentlich nur Urkunden und Parteivereinbarungen mit vollstreckbarem Inhalt; eine Scheidung wirkt aber nur gestaltend und kann lediglich anerkannt, nicht aber vollstreckt werden. Außerdem spricht gegen eine (analoge) Anwendung von Art. 46 Brüssel IIa-VO, dass die Vorschrift nicht voraussetzt, dass der Mitgliedstaat, in dem die Urkunde oder Vereinbarung zustande gekommen ist, auch international zuständig war. Dieser Weg könnte also Anreize für Scheidungstourismus in Europa setzen.