I. Einleitung

Seit vielen Jahren wird über die unterschiedliche Ausgestaltung des Rechtsmittelzugs in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten einerseits und in Familiensachen[1] andererseits kontrovers diskutiert. Bekanntlich war bereits vor dem Inkrafttreten des FamFG, d.h. zu dem bis August 2009 geltenden Verfahrensrecht, die Anwendung der Regelung des § 544 ZPO zur Nichtzulassungsbeschwerde für die in § 621e Abs. 2 ZPO a.F. grundsätzlich in Bezug genommenen Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit gemäß § 26 Nr. 9 EGZPO für Entscheidungen vor dem 1.1.2010 ausgeschlossen[2] und ab September 2009 in den §§ 70 ff. FamFG eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr vorgesehen. Es verwundert nicht, dass mit der Ausweitung der familiengerichtlichen Zuständigkeit durch das sog. große Familiengericht seitens der Anwaltschaft die Forderung nach einer Gleichbehandlung mit dem zivilprozessualen Verfahren nachdrücklicher gestellt wurde, zumal die knappe und nicht näher erläuterte Begründung im Regierungsentwurf zum FamFG, für eine Nichtzulassungsbeschwerde in Familiensachen bestehe kein praktisches Bedürfnis,[3] wenig Überzeugungskraft hat. Als familienrechtliches Vorhaben der Regierung ist im Koalitionsvertrag u.a. vorgesehen, die Hürden für die Nichtzulassungsbeschwerde zu senken.[4] Diesem Auftrag der Regierungsfraktionen will das Bundesjustizministerium nunmehr wohl nachkommen. Es stellt sich daher die Frage, ob die geltende Begrenzung auf eine reine Zulassungsbeschwerde im FamFG sachlich gerechtfertigt ist oder ob allgemein bzw. auf bestimmte Verfahrensgegenstände begrenzt eine Nichtzulassungsbeschwerde eingeführt werden sollte, wie sie auch in §§ 72a ArbGG und § 133 VwGO vorgesehen ist, oder ob hierzu eine interessengerechte verfahrensrechtliche Alternative besteht.

[1] Auf die weiteren Verfahrensgegenstände des FamFG, etwa Nachlassverfahren, wird in diesem Zusammenhang nicht eingegangen.
[2] Zöller/Philippi, ZPO, 24. Aufl., § 621e Rn 86; für die zivilprozessualen Familiensachen galt der Ausschluss der Nichtzulassungsbeschwerde ebenso (BGH v. 7.5.2020 – III ZR 50/19, FamRZ 2020, 1391 [zum Zugewinnausgleich und der Haftung eines Sachverständigen]; Zöller/Philippi, a.a.O., § Vor § 621e Rn 14); Musielak/Borth, ZPO, 4. Aufl., § 621e Rn 27.
[3] BT-Drucks 16/6308, S. 225 li.Sp.
[4] Mehr Fortschritt wagen, Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/die Grünen und FDP, 2022, S. 102.

II. Reformbemühungen

Der Ausschuss für Familien- und Erbrecht der Bundesrechtsanwaltskammer sowie der Ausschuss Familienrecht des Deutschen Anwaltsvereins haben wiederholt die Einführung einer Nichtzulassungsbeschwerde in Verfahren in Familiensachen sowie in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gefordert und insoweit "dringenden Reformbedarf" gesehen. Im Vordergrund stehen das Unbehagen der Verfahrensbevollmächtigten, seitens der Oberlandesgerichte werde die Rechtsbeschwerde in FamFG-Verfahren trotz bestehender ungeklärter Rechtsfragen nur sehr zögerlich zugelassen, denn die Entscheidung über deren Zulassung liege allein in der Hand der zweiten Instanz.[5] Eine Ungleichbehandlung zum Zivilverfahren wird insbesondere darin gesehen, dass mit der Einführung des FamFG im September 2009 die Zuständigkeit der Familiengerichte in den sonstigen Familiensachen des § 266 FamFG um zivilrechtliche Streitigkeiten deutlich erweitert wurde, für die bisher eine Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 ZPO eröffnet war. Es sei "nicht einsichtig und nachvollziehbar", dass diese Verfahren "nur bis zum Oberlandesgericht verhandelt und entschieden" werden.[6] Dies stehe zu der immensen Bedeutung der familiengerichtlichen Verfahren für die Betroffenen sowie zu der notwendigen Vereinheitlichung der familienrechtlichen Rechtsprechung in Widerspruch und sei auch systematisch nicht verständlich. Plakativ wurde formuliert, dass ein Streit über den Kauf eines Mittelklasse Pkw bis zum BGH gebracht werden könne, während über eine langjährige Unterhaltsverpflichtung vom OLG rechtskräftig entschieden werde.[7]

Daher hat die Bundesrechtsanwaltskammer in ihrer Initiativstellungnahme in Anlehnung an § 544 ZPO die Ergänzung der Regelungen zur Rechtsbeschwerde im FamFG dahingehend vorgeschlagen, in § 72a FamFG die Nichtzulassungsbeschwerde einzuführen, die nach Abs. 2 nur zulässig sein soll, wenn der Wert der mit der Rechtsbeschwerde geltend zu machenden Beschwerden 20.000 EUR übersteigt oder das Beschwerdegericht die Beschwerde als unzulässig verworfen hat.[8]

Nach Auffassung des Ausschusses Familienrecht im Deutschen Anwaltsverein[9] ist die Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde wegen der notwendigen Vereinheitlichung der Rechtsprechung, der erheblichen Ausweitung der familienrechtlichen Verfahren, des Gleichlaufs mit sonstigen zivilrechtlichen Verfahren sowie wegen der großen Bedeutung der Familiensachen für die Beteiligten geboten, wobei maßgeblich auf die mit der Unterhaltsreform 2008 aufgeworfenen Rechtsfragen verwiesen wurde. Beklagt wurde, dass die fehlende oder unzureichende Rechtsprechung des BGH z...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge